Licht ins Schattendasein

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Ein Leben in ständiger Angst und Familien, die an der Trennung zerbrechen: Ein neuer Film dokumentiert die Auswirkungen von illegaler Arbeitsmigration.

Das erste Mal war Ed Moschitz 2004 in Moldawien. Für eine ORF-Reportage reiste der Journalist ins kleine Dorf Cociulia, wenige Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt. Dort besuchte er die Schule, die Lehrerin stellte jedes Kind mit Namen vor - und mit dem europäischen Land, in dem seine Mutter arbeitete. "Dorf ohne Mutter“ hieß die Reportage, die den Beginn einer jahrelangen Recherche markiert, deren Ergebnis ab Freitag im Kino zu sehen ist. "Mama Illegal“ ist das Kinodebüt von Ed Moschitz. Sieben Jahre lang hat er drei moldawische Frauen, allesamt aus dem kleinen Dorf Cociulia, mit der Kamera begleitet. Sie kamen als Illegale nach Westeuropa, arbeiteten ohne Papiere als Haushaltshilfen oder Altenpflegerinnen. Sie ließen ihre Familien zurück und sahen ihre Kinder oft jahrelang nicht. Die Dokumentation zeigt erschütternd ehrlich und trotzdem einfühlsam, welchen Preis die Frauen, ihre Männer und Kinder für das vermeintlich bessere Leben bezahlen.

Dreharbeiten zwischen den Welten

Moschitz erzählt die Geschichte von Menschen, die in unserer Gesellschaft weitgehend unsichtbar sind. Sie leben angepasst, wollen um keinen Preis auffallen. Der erste Kontakt zu seiner Protagonistin, Aurica, fand in seinem eigenen Wohnzimmer statt. Seine Kinder waren damals klein, er suchte eine Babysitterin, ihm wurde Aurica empfohlen. Tatsächlich konnte sie sehr gut mit Kindern umgehen - weil sie eigene hatte, wie Moschitz später herausfand. Kinder, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. "Ich bin Teil des Migrationsproblems“, stellte er erschrocken fest. Und beschloss, das Thema journalistisch aufzuarbeiten.

Neun Mal besuchte er in den letzten sieben Jahren Cociulia, meistens ohne Aurica. Für sie war die Reise ein großes Risiko, es war teuer und gefährlich, sich danach wieder nach Österreich schleppen zu lassen. Moschitz konnte frei reisen. "Die Dreharbeiten zwischen den Welten waren ein Drahtseilakt“, sagt er. "Die große Frage war immer: Was erzählt man wo?“ Eine Strategie, die Familien wählten, um mit der langen Trennung besser fertigzuwerden, bestand nämlich darin, nicht immer die Wahrheit zu sagen. Auch die Fotos der Kinder, die nach Europa geschickt wurden, waren häufig schon ein paar Jahre alt. Das vertraute Bild sollte das Leben in der Fremde leichter machen.

Umso größer war dann oft die Bestürzung, wenn die Frauen nach mehreren Jahren wieder heimkamen. Und ihnen schlagartig bewusst wurde, wie lange sie weg waren: Die Kinder sind gewachsen, die Häuser nicht ganz so schön, wie es sich die Frauen erhofft hatten, die Männer haben sich verändert. "Es ist schrecklich hier“, sagte Aurica zur Begrüßung zu ihrer Familie. Auch Raia, die zweite Frau, die Moschitz mit der Kamera begleitete, reagierte kühl, als sie nach sechs Jahren in Italien zum ersten Mal nach Hause fuhr. Und Natasa, die in Wien lebte, hat ihre Tochter, seit sie gegangen ist, gar nicht mehr gesehen. Das Mädchen war damals drei Jahre alt, ihre Mutter kannte sie nur vom Telefon.

Internationale Festival-Erfolge

"In Moldawien fehlt eine ganze Generation an jungen Frauen“, erzählt Moschitz. "Deshalb gibt es haufenweise traumatisierte Kinder, die ohne Mütter aufwachsen.“ In seinem Dokumentarfilm kommen sie alle zu Wort. Er begleitet die Frauen durch ihren Alltag in Wien und die Kinder in die Schule in Moldawien. Er ist dabei, wenn Natasha zur Fremdenpolizei muss und Raia einen Arzt bräuchte, zu dem sie sich aber nicht gehen traut. Er filmt, wenn die Mütter mit den Kindern per Skype telefonieren, und auch, wenn sie sich nach Jahren endlich wiedersehen. Er zeigt, wie nachhaltig die Entfremdung, wie kalt die Sprachlosigkeit ist, die danach zwischen Eheleuten herrscht.

Das macht "Mama Illegal“ zu weit mehr als einem Film über drei Familien. Die Dokumentation beleuchtet das Schattendasein in der Illegalität, das rund eine Million Moldawier führen, die ihr Land verlassen haben. Sie zeigt die Auswirkungen von illegaler Arbeitsmigration, vom Leben ohne Papiere, bedingt durch die Tatsache, dass es für Moldawier so gut wie unmöglich ist, legal eine Arbeitserlaubnis für Europa zu bekommen. Sie wirft viele Fragen auf über die Bedinungen, unter denen diese Frauen bei uns arbeiten, und die Schikanen, die die europäische Bürokratie für sie bereithält.

Diese Vielschichtigkeit macht den Film schon jetzt zu einem internationalen Erfolg. Seine Uraufführung feierte er vor einem knappen Jahr beim Dokumentarfilm-Festival in Amsterdam. Beim "One World“ Menschenrechtsfilmfestival in Brüssel gewann "Mama Illegal“ den Hauptpreis. Und in Toronto kamen die Zuseher, viele davon selbst mit Immigration in ihrer Familiengeschichte, nach dem Festival persönlich zu Moschitz, um sich zu bedanken. Das nächste Ziel ist, nicht nur Festivalpublikum, sondern Entscheidungsträger für das Thema zu sensibilisieren: Im Dezember soll "Mama Illegal“ im Europäischen Parlament vorgeführt werden.

Mama Illegal

A 2011. Regie: Ed Moschitz.

Poool. 94 Min.

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