Licht und Luft mit Low-Tech

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Das Architekturzentrum Wien zeigt eine Auffassung von Bauen, die Leben und Gesellschaft nachhaltig verändert:

Samuel Mockbee, der charismatische Gründer des "Rural Studio", glaubte an die Kraft einer Architektur, die das Leben verbessern kann. Er begann in Hale County, Alabama, einem der verarmtesten Flecken Amerikas. Sumpfige Landstraßen, urwaldartiges Föhrendickicht, verrottete Wohnmobile, verlassene Scheunen, baufällige Hütten, eine lose Ansammlung barackenartiger Bauten prägen die Region, wo vor allem Arme, Arbeitslose und Schwarze leben. Hier gründete Mockbee 1992 sein "Rural Studio" für Studenten der Architekturfakultät Auburn als Kontrastprogramm zum theorielastigen, weltfremden, dem Starkult huldigenden amerikanischen Trend. "Architektur muss durch Ideen, Überzeugungsarbeit und aufmerksame Kritik am Status quo eine Gesellschaft dazu bringen, verantwortungsvolle strukturelle umweltpolitische und soziale Veränderungen herbeizuführen", forderte Mockbee. "Die beste Art, authentische Architektur zu machen, ist die, dass man Gebäude aus der Kultur und dem Ort heraus entstehen lässt." Nirgends konnte sich die subversive Kraft von Lehrenden, Praktikern und Studenten besser entfalten als in Hale County, das zu arm ist, um noch Bauvorschriften zu haben.

"Ich habe das einzige Haus der Welt mit Teppichwänden", sagt Lucy stolz. Gebaut hat es das "Rural Studio" letztes Jahr, 72.000 quadratische, 45 cm breite Reste von Teppichfliesen wurden von den Studenten zu ziegelartigen Blöcken zusammengestapelt und mit versetzen Fugen als Wände hochgezogen. Die Struktur, die sich dabei ergibt, ist malerisch, vielfältig bunt und warm. Bevor das Haus wirklich gebaut wurde, experimentierten sie lange mit dem neuartigen Material. In Brand gesteckt, erwies es sich erst in der richtigen Schichtung als selbstlöschend, dafür trocknete der Latex bei Feuchtigkeit rasch, die Dämmwerte waren hervorragend. Ein Stahlrohr im Inneren hält die Fliesen zusammen, beschwerende Holzblöcke sorgen dafür, dass die Teppichwand zusammengepresst bleibt. Der Produzent Interface gab sein Abfallprodukt gratis ab, "Rural Studio" konnte die Firma dazu bewegen, alle Teppichfliesen zu recyceln. 30.000 Dollar kostete "Lucy's House" mit drei Kinderzimmern, Bad, Küche, Wohnzimmer und dem mehrfach gekrümmten Turm. Lucy fühlt sich nicht zur Bedürftigen degradiert, sie hat mit ihrem Haus einen Beitrag zur Studentenausbildung geleistet und den jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, etwas zu lernen.

Mockbee starb im Jahr 2000, das "Rural Studio" existiert immer noch. Dort bauen etwa 15 Studenten unter extremen Bedingungen je ein Semester lang etwas, was gebraucht wird. Geschlafen wird im Schlafsack, diskutiert, verhandelt, entworfen, skizziert, experimentiert bis zu 20 Stunden täglich, gegessen zwischendurch. "Wir gehen durch die Stadt, wir reden mit den Menschen. So finden wir heraus, was wir Sinnvolles tun könnten", meint Nathan Orrison, der gerade ein halbes Jahr hinter sich hat. "Es ist eine Erfahrung wie keine andere. Nichts läuft so, wie man es erwartet. Man baut mit eigenen Händen und beginnt zu verstehen, was dahinter steckt." Die Entwurfsarbeit erfolgt im Team, begleitet von Kritiken und Gesprächen mit den mittellosen Bauherren. Gezeichnet wird am Computer, vom Auftreiben der Sponsoren, dem Experimentieren mit unkonventionellen Materialien über den eigentlichen Bauprozess bis zum fertigen Haus erfahren die Studenten hautnah, was Architektur bedeutet.

Längst sind die Aktivitäten des "Rural Studio" über den Bau eines Hauses hinausgewachsen: so wurde die "Antioch Baptist Church" realisiert. In der verarmten Gemeinde spielt die Kirche mit ihrer Gospel-Tradition eine große Rolle. Außerdem entstanden unter anderem das H.E.R.O. Childrens' Center und das Senior Center in Akron. Gemeinschaftliche Einrichtungen wie diese werden in enger Kooperation mit sozialen Stellen entwickelt, der Bedarf bestimmter Bevölkerungsgruppen ergibt sich aus Strukturanalysen, Feldforschung und Datenerhebung.

Viele erstaunliche Gebäude mit lebendiger Ausstrahlung sind so entstanden. Die innovative Phantasie der Studenten kennt keine Grenzen: nach einigen Tests konnte sich wachsimprägnierte Wellpappe als Wandmaterial behaupten, beim Baseball-Center wurden alte Catfish-Netze aus der Gegend verwendet. "Shiles House" steht auf Stelzen aus alten Telefonmasten, um es vom feuchten Boden abzuheben, alte Autoreifen, die mit Erde gefüllt wurden, bilden sein Fundament. Innen werden sie zu einer Wendeltreppe im großzügigen Wohnraum, die reizvoll geschuppte Außenverkleidung besteht aus Eichenschindeln. Dafür wurden Transportpaletten zerschnitten. Low budget und das Streben nach Licht, Luft, Raum und Gestalt sind kein Widerspruch. Die Studenten verstanden, was Mockbee wollte: "Das Ziel ist ein warmes und trockenes Heim mit Seele."

Just build it! Die Bauten des Rural Studio ArchitekturZentrum Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien.

Bis 2. Juni täglich 10-19 Uhr.

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