Lichtblick in der Wüste

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Am 6. September wird der Aga Khan Award for Architecture verliehen. Nominiert ist auch ein Österreicher - hier aber soll ein anderes Projekt vor den Vorhang geholt werden.

Angesichts der geradezu inflationären Anzahl an Preisen, Awards, Ehrungen und Verleihungen bei diversen Architekturveranstaltungen in Österreich, besonders in Wien, stelle ich mir manchmal die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Events. Sind Preise, wie der für "Das beste Haus 2013“, der im Frühjahr im Architekturzentrum Wien (AzW) verliehen wurde, vielleicht nur geschickte Geschäftsmodelle, um das "Mehr an Gewinn“ hinter einem Mäntelchen aus sozialen, ökologischen und sonstigen Bildern zu verstecken?

1 Mio US-Dollar, alle 3 Jahre

"Honi soit qui mal y pense“ (altfranzösisch, wörtlich "Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt“): Diese Redewendung lässt sich entweder als augenzwinkernder, vielleicht ironischer Hinweis auf die durch und durch kommerzialisierte Szene des Architekturgeschehens verstehen, oder auch als Totschlagargument, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Wie dem auch sei, Vorwürfe oder Vermutungen dieser Art lassen sich sicherlich nicht auf den "Aga Khan-Preis für Architektur“ anwenden. Er ist ein von Karim Aga Khan IV. gestifteter Preis für Architektur- und Restaurierungsprojekte mit besonderer Wirkung für das Gemeinwohl. Sein Fokus liegt auf "Gesellschaften, in denen Muslime eine signifikante Präsenz“ haben. Der Preis wird vom Aga Khan Development Network verliehen und gilt als der größte seiner Art weltweit. Er ist mit einer Million US-Dollar dotiert und wird in Dreijahreszyklen an mehrere Projekte und ihre Architekten (die auch aus nichtmuslimischen Ländern stammen können) verliehen. Schon allein die Zusammensetzung seiner internationalen Jury macht ihn über jeden Verdacht erhaben.

Auf der diesmaligen Shortlist (Vorauswahl) steht unter anderen das Projekt der Maria Grazia Cutuli Grundschule aus Afghanistan, einem Land, das den meisten Europäern nur durch die medialen Berichte über Krieg, Tod, Terror und Armut bekannt ist. Die prominente italienische Journalistin Maria Grazia Cutuli (sie war Korrespondentin des Mailänder Corriere della Sera) wurde 2001 in Afghanistan ermordet. Nach diesem tragischen Ereignis gründete ihre Familie eine Foundation, mit der Absicht, soziale und erzieherische Programme für Kinder und Frauen zu unterstützen. Die Foundation sollte in allen Ländern, die von Krieg oder Katastrophen verwüstet werden, aber speziell in Afghanistan, helfen. Die Erforschung innovativer Erziehungsräume und -formen als eine Alternative zu den üblichen Nachkriegsmodellen des Wiederaufbaus war einer der Hauptpunkte des Projektes.

"Grünes Klassenzimmer“

Die Schule, die nun im Andenken an die Journalistin errichtet wurde, war von einem Team dreier in Rom ansässiger Firmen - 2A+P/A, IaN+, ma0 - und dem Bruder der Ermordeten, Mario Cutuli, geplant worden. Sie steht in Kush Rod im Injil Distrikt, Herat, Afghanistan und repräsentiert einen alternativen Zugang zum Schulbau in vom Krieg geplagten Gebieten. Wie ein kleines, intimes Dorf zeigt sie ein ungeplantes Gegenüber- oder Aneinanderstellen von Baukörpern und Elementen, umschlossen von einer hohen Mauer wie ein Schutzwall. Sie beherbergt acht Klassenräume, verschiedene Bereiche für das Lehrpersonal und eine zweigeschossige Bibliothek, die für den ganzen Ort zugänglich ist. Der Garten innerhalb der Umgrenzungsmauer fungiert zusätzlich als "grüner Klassenraum“. Hinter der Mauer finden Kinder einen sicheren Platz zum Lernen.

Gebaut aus Stahlbetonrahmen mit einer Vormauerung aus Ziegeln, wurden die Mauern angemalt statt verputzt, um Kosten zu sparen. Die Wände changieren in verschiedenen Blautönen in Anlehnung an das Lapislazuli-Pigment, das in den lokalen Töpferbetrieben verwendet wird. Das sowohl für die kleinen hausförmigen Klassen wie auch für die Umgebungsmauer verwendete Blau schafft für die Umgebung eine neue landmark, ein Wahrzeichen für den Ort. Die Rahmen der Fenster strahlen in einem kontrastierenden Rot. Und so schwimmt dieses architektonische Biotop wie eine bescheidene, kleine Insel in der graubraunen Steppe vor dem Hintergrund des dunklen Hindukuschmassivs.

Nach örtlichen Gegebenheiten

Nach der Grundsteinlegung startete das Projekt sehr schnell, und die afghanischen Arbeiter führten alle Pläne exakt, wenn auch mit eigenen Methoden, aus. Im Gegensatz zu Europa, wo zuerst die Strukturen und dann die ausfachenden Wände errichtet werden, baute man alles zugleich: Fundamente, Säulen, Wände und erst am Schluss die tragenden Träger und das Dach. Der Bauprozess erinnerte ein bisschen an den europäischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Sämtliche Materialien und auch die angewandten Baumethoden und Techniken wurden nach den örtlichen, traditionellen Gegebenheiten ausgerichtet. Und die Kosten des Projektes belaufen sich auf die unglaublich niedrige Summe von 150.000 Euro, inklusive der Gartengestaltung.

Diese Schule ist das seltene Beispiel einer Architektur, die noch einen Inhalt hat, einer Architektur die bewegen, ja sogar erschüttern kann. Und das nicht nur, weil es ein Gedenken für eine ermordete Kollegin ist, sondern weil der Gegensatz zu manch sinnentleerten Bauten zeitgenössischer Architektur so augenfällig wird: Trotz der Kleinheit, der ganzen (nach europäischen Maßstäben) Armseligkeit dieses blauen Ziegelbaus strahlt aus ihm eine Kraft und Zuversicht.

* Der Autor ist Architekturkritiker und freier Journalist in Wien

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