Liebe ist auch ein Rausch

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"Agnes", Johannes Schmids Verfilmung von Peter Stamms Erfolgsroman, erweist sich als ein erstklassig gespieltes Verwirrspiel um die Liebe.

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"Agnes", Johannes Schmids Verfilmung von Peter Stamms Erfolgsroman, erweist sich als ein erstklassig gespieltes Verwirrspiel um die Liebe.

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Wenn man Agnes das erste Mal sieht in diesem Film von Johannes Schmid, dann ist es schon um einen geschehen, so einnehmend und distanziert zugleich wirkt diese junge, scheinbar schreckhafte Gestalt, so fragil und anmutig, so klug und fordernd zugleich; Agnes, die Unnahbare, die in dein Leben tritt wie ein Wirbelwind und zugleich geheimnisvoll wie eine dunkle Höhle bleibt. Agnes ist die Idee von einer Liebesbeziehung, zugleich auch die Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte und außerdem noch die Frau, die für sich beansprucht, dass die Aufmerksamkeit ausschließlich ihr gilt.

"Agnes" ist die Verfilmung des 1998 erschienenen Erstlingsromans des Schweizers Peter Stamm. Das Buch schöpft seine erzählerische Kraft vor allem aus den Auslassungen, aus den nicht gesprochenen Dialogen, den beinahe schon entrisch gezeichneten Figuren, die sehr stark mit sich selbst befasst sind, fast schon zu stark als dass es für die Gesellschaft, in der sie leben, gesund wäre. Diese Schwere im Ausdruck der Geschichten von Stamms Protagonisten in Filmbilder zu übersetzen, birgt immer die Gefahr, sich in bedeutungsschwangeren Bildern um die Seelendramen herumzulavieren, und zu hoffen, dass das Publikum das Nichtgesagte, das Unausgesprochene irgendwie mitkriegt.

Johannes Schmid hat für seine Verfilmung aber einen besonderen Trumpf im Ärmel: Odine Johne, die Agnes mit einer seltsam verführerischen Aura spielt, kann mit ihrem Gesicht Dutzende Regungen spielen, ohne es zu bewegen. Ein Blick, ein Augenblick, eine Geste genügen ihr für ein ganzes Bouquet an Ausdruck. So etwas ist selten geworden im deutschen Film.

Ein Blick, ein Augenblick, eine Geste genügt

Agnes taucht so rasch wie überraschend im Leben von Walter auf, den Stephan Kampwirth mit stoischer Ratlosigkeit spielt. Walter ist Schriftsteller, oder zumindest versucht er, einer zu sein. Der Erfolg blieb bislang aus. An der Uni in Düsseldorf lernt er Agnes kennen, die beiden nähern sich einander langsam an, es kommt zu einem zarten Gefühlsrausch zwischen diesen nicht nur altersmäßig weit auseinander liegenden Figuren.

Walter wird schon bald klar: Weil das Leben zwar linear verläuft, aber immer wieder seltsame Wendungen nimmt und vieles in verschiedene Richtungen laufen könnte, ist Agnes für ihn bald das Sujet für ein Buch, für sein Buch, einen Roman, der nichts weiter tut, als all die Wirrungen, die Agnes in Walters Leben brachte und bringt, festzuhalten. Agnes motiviert Walter gar, ihre Liebe aufzuschreiben; es wird dadurch für sie eine Möglichkeit geschaffen, darüber zu reflektieren, warum das alles so passiert ist.

In Rückblenden und Fantasien, in Träumen und Aphorismen über das Leben und die Liebe hält sich Regisseur Schmid weitgehend an die Aura der Romanvorlage, gestattet seinen Darstellern allerdings auch, eigene Leidenschaft und Intensität einzubringen, was einen in manchen Szenen fast schon magisch in den Bann des Films zieht. Irgendwann wird Walter mit seiner Geschichte die Realität überholt haben, irgendwann wird Agnes merken, dass sich die Realität nicht vorwegnehmen lässt und schon gar nicht aufschreiben. Das Buch, anfangs treibende Kraft für die Beziehung der beiden, wird schließlich zum fatalen Hindernis, je mehr sich die beiden Protagonisten bewusst werden, dass ihre Liebe auch ein Rausch ist, aus dem es ein Erwachen geben muss.

Die Romanvorlage ist in einigen Regionen Deutschlands übrigens Pflichtlektüre für das Abitur. Denn so komplex und zugleich knapp, wie Stamm seine Protagonisten in den 36 szenischen Miniaturen des Buches beschreibt, das sucht in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen.

Fragmentarisches Herangehen

Es war die richtige Entscheidung von Johannes Schmid, dieses Konzept der szenischen Erzählweise auch für den Film zu übernehmen; durch dieses fragmentarische Herangehen nimmt er den Figuren nicht ihre Geheimnisse, die die Geschichte braucht, um zu funktionieren.

So vielschichtig und überlegt der Regisseur seine Verfilmung auch geplant hat, sie wäre ohne Hauptdarstellerin Odine Johne wohl nur halb so gelungen. Diese junge Frau, die beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken für "Agnes" den Preis als beste Nachwuchsdarstellerin erhalten hat, ist für das deutsche Autorenkino wie geschaffen; in ihrem Gesicht versammelt sich auf der Leinwand all das, was uns am Kino fasziniert: Wir sehen einer Frau dabei zu, wie sie die Augen öffnet und uns einen Blick in die weibliche Seele erhaschen lässt, ohne sie zu verraten. Für Rätsel wie sie ist das Kino gemacht.

Agnes

D 2015. Regie: Johannes Schmid. Mit Odine Johne, Stephan Kampwirth. Polyfilm. 105 Min.

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