Novalis - © Bilder: iStock/Nastasic bzw iStock / Cynthia Shirk

250. Geburtstag von Novalis: „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg“

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Novalis bildete mit seinen poetischen und philosophischen Schriften einen Gegenpol zur Aufklärung. Er strebte nach einer Romantisierung der Welt, um ihr etwas von ihrem verlorenen Zauber zurückzugeben. Zum 250. Geburtstag des Dichters.

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Novalis bildete mit seinen poetischen und philosophischen Schriften einen Gegenpol zur Aufklärung. Er strebte nach einer Romantisierung der Welt, um ihr etwas von ihrem verlorenen Zauber zurückzugeben. Zum 250. Geburtstag des Dichters.

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„Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg.“ Die Empfehlung von Novalis, das Innere des Menschen aufzusuchen – den Imaginationen, Wünschen, Fantasien nachzugehen –, kann als Grundintention seiner poetischen und philosophischen Schriften angesehen werden. Er vertrat einen „magischen Idealismus“, der im krassen Gegensatz zur zweckrationalen Vernunft der Aufklärung steht. Novalis war auf der Suche nach der imaginären Sphäre der Schönheit und des Idealen, die er im Symbol der blauen Blume verdichtete, die stellvertretend die frühromantische Sehnsucht nach dem Unendlichen, Absoluten ausdrückte. „Man muss eine poetische Welt um sich her bilden und in der Poesie leben“, schrieb Novalis.

Dichtung als Therapie

Geboren wurde Novalis am 2. Mai 1772 als Sohn einer adeligen Familie in Oberwiederstedt nahe Halle an der Saale. Sein eigentlicher Name war Friedrich von Hardenberg. Erst später, nach der Veröffentlichung seiner poetischen Werke, nannte er sich Novalis – „einer, der Neuland bestellt“. Der Jugendliche erhielt Privatunterricht und begab sich auf Wunsch des Vaters 1790 nach Jena, wo er ein Studium der Rechtswissenschaften begann und Geschichtsvorlesungen von Friedrich Schiller besuchte. In dieser Zeit begann seine Freundschaft mit dem Schriftsteller und Philosophen Friedrich Schlegel, der als Vordenker der frühromantischen Bewegung ein fulminantes Theoriegebäude verfasste. 1794 schloss Novalis sein in Wittenberg und Leipzig fortgeführtes Studium ab und absolvierte in der thüringischen Kleinstadt Tennstedt eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten. Hier lernte er die erst zwölfjährige Sophie von Kühn kennen, mit der er sich 1795 heimlich verlobte und die bereits im März 1797 verstarb. Dieser Verlust erschütterte ihn zutiefst und ließ Suizidgedanken aufkommen, auf die der Dichter als Art Therapie mit einer intensiven literarischen Produktivität reagierte. Ein spezielles Dokument dieser existenziellen Krise sind die im Jahr 1800 veröffentlichten „Hymnen an die Nacht“, in denen geschildert wird, wie der trauernde Dichter am Grab seiner Geliebten in eine tiefe Depression verfällt: „Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt – wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut.“

Die Sehnsucht, der Geliebten in den Tod zu folgen, wird durch das Eintauchen in die Nacht von einem allmählichen Sinneswandel abgelöst. Das trauernde Ich verspürt eine Ahnung, „einen Dämmerungsschauer“ des Transzendenten, der die Begrenzungen der personalen Identität sprengt und eine kurzfristige Verschmelzung mit dem Absoluten ermöglicht. „Unendliches Leben / Wogt mächtig in mir / Ich fühle des Todes / Verjüngende Flut / Zu Balsam und Äther / Verwandelt mein Blut / Ich lebe bei Tage / Voll Glauben und Mut / Und sterbe die Nächte / In heiliger Glut“.

Novalis führte eine „Doppelexistenz“. Die Dichtung war nur ein Schwerpunkt in seinem Leben. Beruflich arbeitete er als Salineningenieur und nahm Studien an der Bergakademie in Freiberg auf, um sich in den naturwissenschaftlichen Fächern Geologie, Bergbaukunde, Chemie und Mathematik weiterzubilden. Daneben fand er noch Zeit, um Kontakte mit der frühromantischen Bewegung in Jena – zu den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel, dem Dichter Ludwig Tieck und dem Religionsphilosophen Friedrich Schleiermacher – aufzunehmen. Das Ziel dieser Gruppe war die Vermählung von Dichtung, Philosophie und Lebenspraxis. Die Welt sollte nach der Entzauberung durch die Aufklärung verzaubert, romantisiert werden: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

Die blaue Blume

Die literarische Umsetzung dieses Projekts erfolgte im Roman „Heinrich von Ofterdingen“, der unvollendet blieb. Erzählt wird die Entwicklung eines Jünglings zum Dichter, wobei die Produktionen des Unbewussten wie Träume, Fantasien, Begegnungen mit märchenhaften Gestalten und die Sehnsucht nach dem Absoluten eine wesentliche Rolle spielen. Der handlungsarme Roman spielt in einer idealisierten, poetisch überhöhten Epoche des Mittelalters und schildert eine Expedition in unbewusste Zonen des Protagonisten Heinrich von Ofterdingen. Der Roman beginnt mit einer ungewöhnlichen Vision, die der Jüngling im Traum erlebt: „Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte […]. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.“ Nach dem Aufwachen begibt sich Heinrich auf eine Reise nach Augsburg, die ihn zu seinem Großvater führen soll.

In verschiedenen Begegnungen mit Kaufleuten, Kreuzrittern, der Orientalin Zulima, einem alten Bergmann oder einem Einsiedler lernt der zukünftige Dichter verschiedene Existenzmöglichkeiten kennen. In Augsburg wird er von seinem Großvater herzlich empfangen und dem Dichter Klingsohr und seiner Tochter Mathilde vorgestellt, in die er sich leidenschaftlich verliebt. In ihr erkennt er „jenes himmlische Gesicht“, das ihm im Traum von der blauen Blume erschienen ist. Die Liebe zu ihr kann nicht prosaisch beschrieben werden, sondern bedarf einer eigenen Poesie, die aus der Einbildungskraft, der Fantasie entspringt. Im Roman ist die Welt „ohne Schwere, ohne Trübung, ohne Härten, anschmiegsam und formbar durch den Traum, […] eine Welt auch, wo sich das Einvernehmen mit den anderen ganz von selbst und ohne jede Mühe einzustellen scheint“, schrieb der französische Schriftsteller Julien Gracq.

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