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Aus Franz Kafkas Nachlaß

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„Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“ und andere Prosa aus dem Nachlaß. Von Franz Kafka. S. Fischer Verlag. Lizenzausgabe von Schocken Books, New York 1953. 455 Seiten. Preis 17.50 DM.

Von der neunbändigen Gesamtausgabe, die auch die Tagebücher Kafkas und zwei Briefbände umfaßt, sind bereits sechs Bände erschienen. Der vorliegende enthält außer dem Fragment der Titel-, erzählung (die bereits 1907 begonnen wurde und als Kafkas früheste Prosaarbeit angesehen werden muß) den vollständigen Text der acht kleinen blauen Oktavhefte, Fragmente auf losen Blättern sowie sechs Stücke von geringerer Bedeutung unter dem Titel „Parlipomena“. Im Mittelpunkt des Bandes steht ( S. 162 bis 223) jener berühmte und oft zitierte (aber bisher nur unvollständig bekannte) Brief an den Vater, der 1919 geschrieben, aber nie abgeschickt wurde und — einziger umfassender Versuch einer Selbstbiographie — als literarisches Denkmal von Max Brod aus den Briefen herausgenommen und hier eingefügt wurde. Freilich könnte er auch im Band „Tagebücher“ stehen, die jene 13 Quarthefte umfassen, die sich sowohl durch ihre Eintragungstechnik als auch durch die dunklere Grundfarbe von den etwas helleren, objektiveren „blauen Heften“ unterscheiden.

In diesem 44 Maschinschriftseiten umfassenden Dokument macht Kafka den Versuch, zu erklären, wie seine Erziehung, insbesondere der Einfluß des Vaters, ihn zu dem schwächlichen, ängstlichen, unruhigen und zögernden Menschen gemacht hat, der er wurde. Der Vater erscheint als Gegentypus; von allem, was er an ihm erkennt, besitzt der Sohn fast nichts: Stärke, Gesundheit und eine gewisse Maßlosigkeit, Selbstvertrauen und Redebegabung, Unzufriedenheit mit allen andern, Weltüberlegenheit und Neigung zur Tyrannei, Menschenkenntnis gepaart mit Mißtrauen, Fleiß, Ausdauer, Geistesgegenwart und Unerschrockenheit. An diesem „Vateridol“ scheitert auch Kafkas Ehevorhaben. Die Heirat erscheint als Bürgschaft für Selbstbefreiung und Unabhängigkeit, als das Höchste, das erreicht werden kann: er hätte eine Familie und wäre dem Vater ebenbürtig. „Das wäre allerdings märchenhaft, aber darin liegt eben schon das Fragwürdige. Es ist zu viel, so viel kann nicht erreicht werden. Es ist so, wie wenn einer gefangen wäre und er hätte nicht nur die Absicht zu fliehen, was vielleicht leicht zu erreichen wäre, sondern auch noch — und zwar gleichzeitig — die Absicht, das Gefängnis in ein Lustschloß für sich umzubauen. Wenn er aber flieht, kann er nicht um-

bauen, und wenn er umbaut, kann er nicht fliehen.“ Noch eine andere Gefahr besteht für ihn in der Ehe: Kleine Selbständigkeitsversuche, Fluchtversuche vor dem Vater sind ihm bisher ausschließlich mit Hilfe des Schreibens, der Künstlerschaft gelungen. Hiervon muß alle Gefahr abgewendet werden. Die Ehe erscheint ihm als Möglichkeit

einer Verlockung, vom Schreiben abzulassen, also als die größte Gefahr. So muß er verzichten, zugunsten seiner Arbeit. Was aber bedeutet sie ihm? „Das Schreiben versagt sich mir. Daher Plan der selbstbiographischen Untersuchungen. Nicht Biographie, sondern Untersuchung und Auffindung möglichst kleiner Bestandteile. Daraus will ich mich dann aufbauen, so wie einer, dessen Haus unsicher ist, daneben ein sicheres aufbauen will, womöglich aus dem Material des alten. Schlimm ist es allerdings, wenn mitten im Bau seine Kraft aufhört und er jetzt statt eines zwar unsicheren aber doch vollständigen Hauses, ein halbzerstörtes und ein halbfertiges hat, also nichts. Was folgt, ist Irrsinn, also etwa ein Kosakentanz zwischen den zwei , Häusern, wobei der Kosak mit den Stiefelabsätzen die Erde so lange scharrt und auswirft, bis sich unter ihm sein Grab bjldet“. (Fragmente, S. 388).

Dies bedrückende Schauspiel bietet in der Tat fast jede der selbstanalytischen Aufzeichnungen Kafkas, und er ist unermüdlich in der Findung von Parabeln dafür. Einem Familienvater zum Beispiel gelingt es nicht, ein Stück Brot in zwei Hälften zu schneiden, obwohl das Messer stark und scharf, das Brot nicht zu weich und nicht zu hart war. Die Kinder blicken verwundert zum Vater auf und er sagt:,, Warum wundert ihr euch? Ist es nicht merkwürdiger, das etwas gelingt, als daß es nicht gelingt?“ Und die Reihe „ER“ in den Para-lipomena eröffnet der Aphorismus: „Er hat den archimedischen Punkt gefunden, hat ihn aber gegen sich ausgenützt, offenbar hat er ihn nur unter dieser Bedingung finden dürfen“.

Kafka war zutiefst durchdrungen vom Gefühl

seiner Unzulänglichkeit, vom „Verdacht“ gegen sich und von der Ueberzeugung der Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Aber auch dies alles wird gewogen. Und nicht nur in der höheren Mathematik ergeben Minus und Minus das große Plus. Prof. Dr. H. A. Fiechtner

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Wien von A bis Z. Gesammelt und herausgegeben von Hermann H a k e 1. Wiener Verlag, 1953. 326 Seiten. Preis 89 S.

Hier ist zuviel und zu Unorganisches miteinander vermengt. Zu einer Kulturgeschichte reichte der Atem nicht, dazu ist der Gedanke zu versnobt; war es aber auf Witz und Ironie angelegt, so hätte es nicht in Banalem schwelgen dürfen. Text und Illustration sind ungleichartig; neben kleinen Kunstwerken stehen Schülerhaftes und Dilettantisches. Gesinnungsmäßig scheint das Buch einer intransigenten Linken zuzuneigen (die bösartige Einseitigkeit von der Erstürmung des Meid-linger Gemeindehauses, S. 40!). Es gibt unverständliche Sachirrtümer wie die „hochlöbliche Erzherzogin Sophie“ und „ihren Gemahl, Kronprinzen Rudolf“ (S. 27), und Sprachungetüme wie „Erinnerungsmedaillons an Oesterreich“, die auch nicht besser klingen, wenn sie von Anton Kuh stammen. Bekannte katholische Autoren, die weiß wie in das Buch geraten sind, werden über diese ihre Mithaftung an Art und Geist des Buches nicht eben erbaut sein.

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