Hofmann - © Foto: picturedesk.com / dpa

Bachmannpreis: Gert Hofmann - der Entfesselungskünstler des Grausamen

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1979 wurde Gert Hofmann mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet. Teil 3 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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1979 wurde Gert Hofmann mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet. Teil 3 einer Serie mit Preisträger(innen)-Porträts anlässlich der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur, die im Juni 2021 stattfinden werden.

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Das Jahr 1979 war kein schlechtes für den Bewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Josef Winkler, Dieter Kühn und Jurek Becker waren Namen, deren Literatur noch nach Jahrzehnten etwas zählt. Den Preis aber bekam Gert Hofmann, der heute weitaus weniger bekannt ist. Veröffentlicht hatte er einige Theaterstücke und Hörspiele, im Jahr zuvor war die Novelle „Die Denunziation" erschienen. Was von ihm zu erwarten war, ließ sich damals nicht abschätzen. Zu Lebzeiten hoch geachtet und breit wahrgenommen, verblasste sein Stern, der mit der Auszeichnung in Klagenfurt so überraschend aufgegangen war, rasch. Das ist seltsam, weil Hofmanns Bücher auch heute für eine irritierende Lektüre sorgen dürften.

Eine Kaltschnäuzigkeit zeichnet seine Romane und Erzählungen aus, mit der sich brave Bürger wappnen gegen die Schrecken, die sich vor ihren Augen abspielen. Der Einzelne gegen die Masse und wie sich Gewalt an Wehrlosen austobt, bilden Hauptmotive des Werkes. In der Novelle „Veilchenfeld" (1986) erwischt es einen jüdischen Intellektuellen hart. Er findet sich unter Menschen, unter deren „kräftiger Hirndecke […] sich eine kleine Zahl von Überzeugungen aus[breitet], die einfach, aber robust sind". Erzählt wird, wie schon im Roman „Unsere
Eroberung" (1984), aus der Kinderperspektive, ungerührt sich die Ansichten der Erwachsenen aneignend. Das Kind geht durch eine Schule der Grausamkeit, alle Widerwärtigkeiten weiß es in sein Denken, wie die Welt auszusehen hat, mühelos einzubauen.

Aus Gert Hofmanns Literatur lässt sich anschaulich erfahren, welch katastrophale Folgen das Einheitsdenken zeitigt. Vieles von dem, was wir heute zu lesen bekommen, wirkt im Vergleich dazu kindisch. Dass Hofmann Literatur­wissenschafter war, der über das Werk von Henry James promoviert wurde, erkennt man an seinem souveränen Umgang mit der Tradition. Der Roman „Auf dem Turm" (1982) variiert Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer". Ein schleimiger Mann in schwarzem Anzug drängt sich einem Paar in Sizilien auf, das aufgrund einer Autopanne zu einem ungeplanten Aufenthalt in einem ausgesprochen feindselig empfundenen Ort gezwungen ist. Hofmann verschärft die ohnehin düstere Atmosphäre bei Mann noch einmal. Die Familie bei Mann, die in den Bann eines Knall­chargen-Magiers gerät, ist intakt, das Paar bei Hofmann ist heillos zerstritten.

Die Welt des Gert Hofmann ist eine unheimliche, in der all das, was Zivilisation ausmacht, nicht greift. Die Menschheit, eine Vernichtungsmaschine des störenden Humanitätsgedankens. Für den inneren Frieden seines
Publikums fühlt sich Hofmann nicht zuständig. Als Entfesselungskünstler des Grausamen führt er das Biest im Menschen vor, das sich nicht länger an die Leine legen lässt. Diese Literatur brauchen wir heute!

Die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises werden vom 16. bis 20. Juni 2021 im ORF-Theater im ORF-Landesstudio in Klagenfurt stattfinden und auf 3sat live übertragen. Jury: Mara Delius, Vea Kaiser, Klaus Kastberger, FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler, Michael Wiederstein, Insa Wilke (Vorsitz).

In dieser Serie stellt Anton Thuswaldner Preisträgerinnen und Preisträger aus 44 Jahren vor.

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