Hrabal - © Foto: Imago / CTK Photo

Bohumil Hrabal: Gegenstimme zum sozialistischen Realismus

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Bohumil Hrabal, in memoriam: Vor 25 Jahren starb der tschechische Autor, dessen Prosa mit ihrer existentiellen Leichtigkeit eine Gegenstimme zum sozialistischen Realismus bot.

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Bohumil Hrabal, in memoriam: Vor 25 Jahren starb der tschechische Autor, dessen Prosa mit ihrer existentiellen Leichtigkeit eine Gegenstimme zum sozialistischen Realismus bot.

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Als der ungekrönte König der čechišen Prosa im Februar 1997 aus dem 5. Stock der Prager orthopädischen Klinik fiel, in der er wegen seiner Gelenkprobleme auf Behandlung lag, ward eine Legende geboren. Er, der Katzenfreund, sei beim Taubenfüttern aus dem Fenster gefallen. Ein Unfall. So die offizielle Version. Doch bald tauchten Zweifel auf.

Spürte er, dass ihm nicht mehr zu helfen war? Was sollte er noch ohne seine geliebte, 1986 verstorbene Frau Eliška? Katzen – so sehr er sie auch liebte – sind auf die Dauer auch keine Gesprächspartner.

Kennen sie den Monolog „Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“, gelesen von Helmut Qualtinger? Damit wurde Hrabal, 1914 in Brünn geboren, auch in Österreich bekannt. Nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings durfte er jahrelang in der Tschechoslowakei nicht publizieren, doch seine Texte konnten, in den Übersetzungen von Franz Peter Künzel und Susanna Roth, nach und nach bei Suhrkamp erscheinen.

Im Jahr 1963 debütierte er, fast fünfzigjährig, mit dem Titel „Perlička na dně / Das Perlchen auf dem Grund“. Sein Erfolg lag im frischen und frechen Ton begründet; der (absurde) Humor, Schwejk’scher Anarchismus und eine existenzielle Leichtigkeit in seiner Prosa erwiesen sich als willkommene Gegenstimme zum steifen sozialistischen Realismus, den viele Künstler und Schriftsteller in diesen Jahren aufzubrechen begannen.

Verschrobene Typen

Hrabal hatte ein Faible für verschrobene Typen. Zu diesen gehörte sein Onkel Pepin, dessen Erzählungen ihn zur „Tanzstunden“-Prosa inspirierten. Ein Vierteljahrhundert lang unterhielt er die Stadt Nymburk, in der Hrabal aufgewachsen war, mit seinen Streichen, dadaistischen Reden und exzentrischen Tänzen. Der Neffe identifizierte sich so sehr mit seinem schrulligen Onkel, dass er auch dessen Strom des ununterbrochenen Erzählens übernahm. Mit seinem passagenweise interpunktionslosen Schreiben ergründete er aber auch, wie er einmal sagte, sein Wesen, so in seiner autobiografischen Trilogie mit den Titeln „Hochzeiten im Haus“, „Vita nuova“ und „Baulücken“. Seine Selbstbefragung mündete in eine formale Antwort: Er erzählte über sich aus der Perspektive seiner Frau. Mit Hilfe dieses Spiegels gelang es ihm, auch seine Widersprüche, Schwächen und Laster zur Sprache zu bringen.

Während der Roman „Ich habe den englischen König bedient“ von Jiří Menzel erst nach dem Tod von Hrabal verfilmt wurde, wagte sich der junge Menzel bereits 1965 an die Verfilmung von „Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht“. 1968 wurde der Film unter dem Titel „Liebe nach Fahrplan“ mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet. Hintergrund der Erzählung ist die zu Ende gehende Herrschaft der Nazis im Protektorat: Tiefflieger brachten den Verkehr so durcheinander, dass die Morgenzüge mittags fuhren, die Mittagszüge abends und die Abendzüge nachts, so dass es manchmal geschah, dass am Nachmittag der Zug fahrplanmäßig ankam, auf die Minute genau, aber nur, weil das der vier Stunden verspätete Personenzug vom Vormittag war.

In der angespannten militärischen Lage verkehren jedoch nicht nur Züge in einem unvorhersehbaren Rhythmus; auch im Verhalten zwischen den Geschlechtern, namentlich zwischen dem Fahrdienstleiter Hubička und der Telegraphistin Zdenička Svatá (Svata=Heilige) kommt es zu galanten erotischen Verwicklungen. Das Band zwischen einem literarischen Werk und den Bedingungen, unter denen es entsteht, ist manchmal rätselhaft. Nicht jedoch bei Hrabal. Die Prosa geht auf Erlebnisse zurück, die er als Fahrdienstleiter hatte.

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