Christian Lehnert: Existenzielle Selbsterkenntnis
Sein neues Buch „Ins Innere hinaus – Von den Engeln und Mächten“ weist der Dichter Christian Lehnert als philosophische Hommage an den Höchsten aus. Ein produktiv herausfordernder Text, der zwischen Theologie und Ästhetik schwebt und lange nachhallt.
Sein neues Buch „Ins Innere hinaus – Von den Engeln und Mächten“ weist der Dichter Christian Lehnert als philosophische Hommage an den Höchsten aus. Ein produktiv herausfordernder Text, der zwischen Theologie und Ästhetik schwebt und lange nachhallt.
So viel steht fest, dass ohne Engel die Topographie der Künste von jeher ärmer wäre. Sie ihnen auszutreiben, ist selbst der säkularisierten Moderne nicht gelungen, wie sich, von Rilke und Klee bis zu Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ oder Arvo Pärts „Symphonie Nr. 4“, leicht nachbuchstabieren ließe. Vielfach würde man da fündig, und Vielfaches träte zutage.
Wenn Christian Lehnerts neues Buch „Von den Engeln und Mächten“ Auskunft zu erteilen verspricht, ist es ihm nicht um solche Einzelmotive zu tun. Ohne systematisch zu werden, setzt er grundsätzlicher an. Worauf der 51-jährige Autor aus Sachsen abzielt, der mit seinen acht Gedicht- und zwei Prosabänden längst zu den wichtigen Stimmen seiner Zunft zählt, ist die Annäherung an eine Hinterwelt unserer porös verfassten Wirklichkeit, an das, was aus ihr und dem eigenen „Inneren heraus“ uns anzureden vermag.
Seine Werkzeuge sind mannigfach: kurze Essays, biblische und ethnologische Betrachtungen, zeitkritische Reflexionen und immer wieder lebensgeschichtliche Einblicke, die manchmal nur wie beiläufig auf sein Thema einzuschwenken scheinen. Realistisch-geistdurchwirkte Naturminiaturen stehen neben gelehrten Diskursen, deren Unterbau durch eine stattliche Zahl von Anmerkungen auszementiert ist, wo Philosophen und Wissenschafter zu Wort kommen. Aus über 60 Bruchstücken entsteht so ein breit ausgreifendes Mosaik, das sich zu einer Art „Meditation“ im phänomenologischen Sinne rundet. Und das mit Recht, handelt es sich bei dem Ort möglicher Innewerdung von Engeln (und Mächten, einer ihrer klassischen Ordnungen) doch um das Bewusstsein, eine Erfahrbarkeit dort freilich, die sich jedem Versuch, sie dingfest zu machen, entzieht.
Gefährten des Menschen
Was immer nämlich im Zusammenhang mit Engeln geäußert werden kann: Nie reicht das Denken, nie reichen die vorhandenen Semantiken und Metaphern hin, gerade für einen, der Sprache so präzise und sensibel handzuhaben versteht wie Lehnert. Hinter diesem Dunkel aber bleibt gleichwohl eine radikale Andersheit und Fremdheit mächtig, die unbegreifliche Offenheit von etwas, das uns zur existenziellen Selbsterkenntnis drängt. So tastet er sich Stollen entlang, in denen nirgends Eindeutigkeit vorherrscht, irgendwelche projektive Wunscherfüllung schon gar nicht, sondern Rätsel wie Zumutung.
Engel werden dabei als eine Art Gefährten des Menschen erahnbar, die inkognito erscheinen, in allerlei Verkleidungen oder den unscheinbarsten Widerfahrnissen, als plötzliche Antwort etwa, wo gar keine Frage gestellt wurde, und ihm Möglichkeitsräume auftun, ein großes Noch-nicht. „Die Vielfalt der Engelswirkungen markiert unerschlossenes Land in und um uns.“
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