Clemens J. Setz : „Die Bienen und das Unsichtbare“
Ein Plädoyer für die Beschäftigung mit Plansprachen: Clemens Setz bietet in seiner neuen Veröffentlichung „Die Bienen und das Unsichtbare“ einen Streifzug durch künstlich gewachsene Sprach- und Literaturwelten.
Ein Plädoyer für die Beschäftigung mit Plansprachen: Clemens Setz bietet in seiner neuen Veröffentlichung „Die Bienen und das Unsichtbare“ einen Streifzug durch künstlich gewachsene Sprach- und Literaturwelten.
In Kanada unterrichtet eine junge Lehrerin in den frühen Siebzigerjahren Kinder mit Zerebralparese. Sie können, obwohl sie wach sind, nur ganz rudimentär kommunizieren. Einmal setzt die Lehrerin Symbole ein, um herauszufinden, welchen Zugang die Kinder zur Welt haben. Aber alles ändert sich, als sie eines Tages das Buch „Semantography“ von Charles Bliss entdeckt. Hier dringt sie in ein dynamisches Symbolreich ein, das für die Kinder ein Tor zur Außenwelt wird. Denn mit den Symbolen, auf die man zeigen kann, können die Kinder plötzlich kommunizieren und ihre Bedürfnisse und Wahrnehmungen mitteilen.
Der Grazer Schriftsteller Clemens Setz beschäftigt sich in seiner neuen Veröffentlichung „Die Bienen und das Unsichtbare“ in sechs Kapiteln mit der Welt der Plansprachen, mit ihrer Geschichte, aber besonders auch mit ihren poetischen Möglichkeiten. Der Buchtitel zitiert einen Satz Rainer Maria Rilkes: „Wir sind die Bienen des Unsichtbaren.“ In dieser Äußerung sieht Setz „die beste Definition“ für Kunstsprachen: „Sie bringen Ertrag und Nährstoffe von einer Quelle, die sonst kaum jemand sehen kann. Wer eine erst vor Kurzem erfundene Sprache spricht, macht sich in gewisser Weise vor der Weltgeschichte unsichtbar [...]. Nur in einer neuen, völlig geschichtslosen Sprache können dich die alten Götter nicht erkennen. Du bist frei, umtriebig. Du bist gefährlich.“
Aus Karl Blitz wird Charles Bliss
Mag sein, dass Setz diesen Band, an dem er schon vor sechs Jahren zu arbeiten begonnen hat, zunächst als Sachbuch konzipiert hat, schlussendlich hat er aber zu einer ungewöhnlichen Hybridform gefunden. Durch diesen Text mäandern zahlreiche persönliche Spuren als locker gestricktes und zwanglos entfaltetes Crossover von Tagebuchaufzeichnungen, Lektüreerfahrungen, Erinnerungen oder Begegnungen mit Menschen, die in der Kunstsprache für eine kleine Community schreiben. Setz hat intensiv recherchiert und dieses sprachliche Paralleluniversum mittels Studien, Artikeln aus Fachjournalen oder zahlreichen literarischen Beispielen gründlich und innovativ erforscht. Bevor Karl Blitz sein eigenes Symbolsystem entworfen hat, ist er davon überzeugt, dass Sprache, solange sie „eine klangliche Oberfläche“ besitze, „anfällig und korrumpierbar“ sei. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wird er deportiert, er kommt mit Hilfe seiner Freundin frei und kann nach England fliehen. Dort löst sein Nachname Angst aus, „weil ‚Blitz‘ auf Englisch ‚Bombardierung‘ bedeutet“.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!