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Die zweite Kindheitsv er arbeitung des Romanciers Michel de Castillo

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Schon einmal hat Castillo sich ausschließlich mit seinem Kindheitstrauma befaßt; durch den erschütternden Rericht „Elegie der Nacht” (1958) ist er bekannt geworden. Seither schreibt er Romane, auch Drehbücher, lebt in den Ceven-nen und zählt zu den wichtigsten französischen Autoren der Nachkriegszeit, wiewohl er gebürtiger Spanier ist - Michel del Castillo kam 1933 in Madrid auf die Welt.

Der neue Roman, „Straße der Erinnerung”, rekapituliert wiederum das schreckliche Erlebnis, daß die faszinierend-fatale Mutter den Neunjährigen in Paris einfach. verläßt, reicht aber diesmal bis zum Tod der einmal unwiderstehlich anziehenden, dann wieder abstoßenden Frau vor wenigen Jahren. Sie hieß Candida, nannte sich später Victoria, war zeitweise schriftstellerisch tätig, wohlhabend, beinahe instinktiv verlogen, einmal verleumderisch, dann wieder unerwartet anhänglich, ein paradoxes Wesen. Felix, ihr letzter Ehemann, hängt bedingungslos an ihr, unbeschadet des Ümstandes, daß sie ihn wiederholt für längere Zeit verlassen hat, und obwohl sie, einst eine berückende Schönheit, im hohen Alter zu einem Unikum an Häßlichkeit degeneriert ist. Verfressen, an den Rollstuhl gefesselt, lebte sie während der letzten Jahre in ihrer beispiellos verwahrlosten Wohnung dahin, in der es von Ungeziefer wimmelte -aber keineswegs aus Armut.

Michel del Castillo hat als Kind Mauthausen überlebt, kam in ein spanisches Kinderheim und 1953 nach Paris, wo er studierte und mit großem Erfolg zu schreiben begann. 1955 hatte er nach langer Suche den Aufenthaltsort der Mutter gefunden, wie man aus dem zitierten Frühwerk weiß. Sie hat das Ruch bezichtigt, teils unwahr, größtenteils aber von ihr abgeschrieben zu sein. Doch nicht einmal auf ihre Feindseligkeit konnte man sich verlassen, denn ihre spontan bewiesene Zuneigung wirkte glaubhaft. Sie pflegte von einem Tag auf den anderen zu vergessen (oder zu leugnen), was sie gesagt hatte, und war trotz alldem unvergeßlich.

Auf der letzten Ruchseite bekennt Michel del Castillo: „Mit Candida ist etwas gestorben in mir, in uns - der geheimste Teil unserer Seele, wo Furcht und Verehrung wohnen.” Zwischen solchen zwei Polen schwankt sein Leben noch immer.

Sein Lebensroman: Aufzeichnungen, die von der total unmütterlichen Mutter gezeichnet bleiben.

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