Hans Magnus Enzensberger

Hans Magnus Enzensberger: Auf Gefolgschaft nicht angewiesen

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Am 24. November verstarb der deutsche Literat und Intellektuelle Hans Magnus Enzensberger. Mit Ironie als Feinbesteck im Gepäck bezog er Stellung zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen und entwickelte sich vom Kämpfer zum Kommentator von Diskussionen. Ein Nachruf.

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Am 24. November verstarb der deutsche Literat und Intellektuelle Hans Magnus Enzensberger. Mit Ironie als Feinbesteck im Gepäck bezog er Stellung zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen und entwickelte sich vom Kämpfer zum Kommentator von Diskussionen. Ein Nachruf.

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Richtungswechsel hat Hans Magnus Enzensberger nicht wenige vollzogen. Wenn ihm das Kritiker zum Vorwurf machten, störte ihn das nicht, er stand dazu. Die Zeiten änderten sich, warum sollte er immer der Gleiche bleiben? In einer Hinsicht aber blieb er unerschütterbar. Alles Verschwurbelte, Klausulierte, hermetisch Verschlüsselte, Verschrobene war ihm zuwider. Er blieb der klare, unverstellte Denker, er bezog Stellung, ohne sich je zu krümmen und zu beugen, nur so konnte er zum prägenden Intellektuellen der Bundesrepublik werden, der die Themen vorgab und Diskussionen anstieß. In dieser Hinsicht machte er keinen Unterschied zwischen dem Essayisten und dem Lyriker, dem Dramatiker und dem Verfasser von Prosa. Seine Ansichten vertrat er in größter Klarheit und stilistischer Brillanz.

Enzensberger zu lesen, bedeutete nie nur Aufschluss zu bekommen über unsere zerrüttete Gegenwart in kühnen Gedanken voller überraschender Volten, selbst den journalistischen Arbeiten und Gelegenheitstexten war die Lust an der Verfeinerung des Stils anzusehen. Sehr strenge Kritiker, die für den ästhetischen Mehrwert wenig Verständnis aufzubringen vermochten, sahen deshalb in ihm einen Luftikus. Es war Neid im Spiel, dass einer so viel besser zu formulieren verstand mit einer Leichtigkeit, die den sonst oft behäbigen, wenn auch gründlichen Beiträgen zu Ereignissen unserer Zeit gewöhnlich abgeht.

Früh, schon in seinem ersten Gedichtband „verteidigung der wölfe“ von 1957, durfte man auf einen Vers stoßen, der als Programm für das eigene Schaffen gedeutet werden darf: „Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: / sie sind genauer“. Sachlichkeit war gefragt und nicht die Flucht in eine Grammatik der Verstiegenheit.

Reise- und Denkabenteurer

Gegenüber anderen Zeitdiagnostikern hatte sich Enzensberger einen deutlichen Vorteil erarbeitet, der seiner unsteten Lebensweise in frühen Jahren zu verdanken ist. Er suchte fremde Länder und Kulturen nicht nur auf, er lebte in ihnen und eignete sich mit Leichtigkeit Sprachen an. Im Alter von fünfzehn Jahren arbeitete er nach dem Weltkrieg als Dolmetscher für die Royal Air Force. Später hielt er sich länger in den USA und Mexiko, in Norwegen, Italien und auf Kuba auf, die Erfahrungen waren prägend für seine weitere Entwicklung. 1968 reiste er nach Kuba in der Erwartung, dort seinen Einfluss als Intellektueller geltend machen zu können. Daraus wurde nichts, Fidel Castro hatte für Theorie des Marxismus wenig übrig. Immerhin betätigte sich Enzensberger für kurze Zeit als Zuckerrohr-Schnitter, 1,24 Tonnen pro Tag soll seine Arbeitsleistung gewesen sein. In Deutschland zurück, schrieb er, dass das marxistische Denken „in Kuba auf den Hund gekommen“ sei. Beifall von der falschen Seite verbat er sich, dafür steht das Dokumentardrama „Das Verhör von Habana“ von 1970. Es greift auf Tonbandprotokolle zurück, die entstanden, als nach der gescheiterten Invasion exilkubanischer Söldner in der Schweinebucht im April 1961 diese dem Volk öffentlich Rede und Antwort stehen mussten.

Kurz zuvor hatte Enzensberger in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift Kursbuch den Tod der Literatur ausgerufen, was nichts anderes meinte, als dass Literatur sich dem Dokumentarischen zuzuwenden habe und Fiktionen fragwürdig seien. Mit „Der kurze Sommer der Anarchie“ (1972) machte er in Prosaform weiter, was er gerade auf dem Theater vorexerziert hatte. Das Leben lässt sich aus Dokumenten rekonstruieren, im konkreten Fall das Leben des spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti. Aber wie so oft bei Enzensberger entsteht etwas anderes als erwartet, nicht die Rekonstruktion einer Biografie, die zum Heldenmythos taugt, sondern eine Versammlung der unterschiedlichsten Stimmen, die nicht zusammenpassen wollen. Die Rekonstruktion eines Lebens bleibt Interpretationssache und ist ideologischen Interessen unterworfen.

Widerspruch als Konstante

Spätestens seit Enzensbergers Kuba-Aufenthalt sind Ideale eines undogmatischen Linken, stets zu theoretischen Konfrontationen bereit, zerstört. Also arbeitet er mit „Mausoleum“ (1975) seine Enttäuschungen in „Sieben­unddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts“ auf. Von Geistesgrößen ist zu lesen, die unsere Welt vorangebracht haben, aber wie es zum dialektischen Denken gehört, auch den Weg zu neuen Schrecken eröffnet haben. Der Widerspruch ist die Konstante in Enzensbergers Denken, den er produktiv hält, um an alles Erreichte und Erdachte neue Fragen zu stellen. Mit dem Menschheitsglück-durch-Revolution-Gedanken hatte er abgeschlossen. In seinem weit ausholenden, am Epos orientierten Langgedicht „Der Untergang der Titanic“ von 1978 bestätigte er noch einmal seine Skepsis hinsichtlich aller auf Fortschritt gründenden Hoffnungen. Damit hatte er vorweggenommen, was in den 1980er Jahren das kulturelle Klima bestimmen sollte, die Absage an alle Utopien. Dazu passt die Gründung der Zeitschrift TransAtlantik, die sich wie das Gegenprogramm zum politisch aufstachelnden Kursbuch liest: ein Kulturmagazin mit politischen Ambitionen ohne Bindungszwang. Enzensberger hatte sich vom Kämpfer zum Kommentator gewandelt, mit Ironie als Feinbesteck im Gepäck.

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