horizon - © Foto: picturedesk.com / dpa / Sebastian Gollnow

Kim de l'Horizons Hymne an die Meere

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Mit Kim de l’Horizon hat nun die erste nichtbinäre Person den Deutschen Buchpreis gewonnen. Der autofiktionale Text „Blutbuch“ mit seiner assoziativ montierenden Form hat aber auch abseits polarisierender Debatten um Geschlechterrollen und Identität einiges zu bieten.

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Mit Kim de l’Horizon hat nun die erste nichtbinäre Person den Deutschen Buchpreis gewonnen. Der autofiktionale Text „Blutbuch“ mit seiner assoziativ montierenden Form hat aber auch abseits polarisierender Debatten um Geschlechterrollen und Identität einiges zu bieten.

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Als besonders schön und poetisch gilt das Schweizerische ja nicht unbedingt. Das scheint allerdings ein Missverständnis zu sein, jedenfalls fürs Bernerdeutsche. Denn wie schön kann eine Sprache nur sein, in der das Wort für Mutter Meer lautet. Das kommt natürlich vom französischen mère, und alternativ kann man es auch so schreiben, aber Kim de l’Horizon spielt gerade mit allem, was da mitschwingt in diesem, nein, in dieser Meer. „Die Frauen meiner Kindheit sind ein Element, ein Ozean.“ Dafür hat Kim für den Roman „Blutbuch“ nun den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis gewonnen und steigt damit sehr verdient in die Fußstapfen der Vorjahrsgewinnerin Antje Rávik Strubel.

Dass mit dem/der Schweizer Autor:in Kim de l’Horizon die erste nichtbinäre Person den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, war dann leider zunächst auch die Hauptschlagzeile. Die Literaturberichterstattung kämpfte mit den Schwierigkeiten, einer nonbinären Person sprachlich gerecht zu werden, scheiterte auch häufig daran, so war des Öfteren vom Schriftsteller Kim die Rede, doch das Buch wurde größtenteils sehr positiv aufgenommen, die Entscheidung als mutig gepriesen. Dass die Nonbinarität Kims so im Mittelpunkt stand, hat indes auch mit dem Roman und der Begründung der Jury zu tun, die schreibt: „Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman ‚Blutbuch‘ nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?“

Drohungen und Häme

Die Reaktionen in den Sozialen Medien hatten wenig mit dem Buch und viel mit dem Reizthemen Gender, Geschlechterrollen und Identität zu tun. Kim de l’Horizon hätte den Preis nur bekommen, weil „er“ sich als nonbinär identifiziere und das momentan modern sei, wird da behauptet, ohne den Roman überhaupt gelesen zu haben. Schon wieder habe ein Mann den Deutschen Buchpreis gewonnen, liest man immer wieder, Kims Selbstdefinition ignorierend oder lächerlich machend, sogar queerfeindliche Drohungen wurden geäußert. Häme wird über Kim auf der einen Seite ausgeschüttet, auf der anderen Seite fühlt man sich moralisch erhaben, weil man jemanden dafür kritisieren kann, der misgendert und das unisono als Ausdruck einer konservativen, ablehnenden Gesinnung bloßstellt. Für ein Dazwischen bleibt, wie so oft, wenig Raum. Die Preisverleihung im Frankfurter Römer, bei der Kim sich aus Solidarität mit den unterdrückten Frauen im Iran den Kopf rasierte, polarisierte nicht weniger. Viele fanden es berührend, andere bizarr. Dass jemand, oder jemensch, wie Kim in seinem Roman schreibt, den eigenen Moment im Scheinwerferlicht den Frauen im Iran widmet, sollte eigentlich wenig kontroversiell sein, würde man meinen, auch wenn Kims Aussage, die Entscheidung für „Blutbuch“ sei auch für die iranischen Frauen gefallen, etwas vermessen wirkt.

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