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Monika Helfer: In der Badewanne über den Bodensee

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Mit „Löwenherz“ hat Monika Helfer nun einem weiteren Mitglied ihrer Familie ein literarisches Denkmal gesetzt – ihrem früh verstorbenen Bruder Richard.

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Mit „Löwenherz“ hat Monika Helfer nun einem weiteren Mitglied ihrer Familie ein literarisches Denkmal gesetzt – ihrem früh verstorbenen Bruder Richard.

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Diesmal also der Bruder. In dichter Folge von viel beachteten Roman-Rückblicken hat die Vorarlberger Schriftstellerin Monika Helfer bislang erst das beschwerliche Leben ihrer Großmutter („Die Bagage“ ) und dann das ihres Vaters („Vati“) für die Leser wiedererstehen lassen. Nun setzt sie die heftig bewegte Familiengeschichte fort und erzählt von ihrem sechs Jahre nach ihr geborenen Bruder, der ein Träumer, ein Seiltänzer des Lebens, ein Bruder Luftikus der verweigerten Tatkraft war.

Ein Enfant terrible gibt es ja in nahezu jeder Familie. In den „Buddenbrooks“ ist es der fahrlässige, leichtlebige Bruder namens Christian. Hier ist es so ein ausgeflippter Typ, der einen älteren, arrivierten Leser schon einmal nerven kann. So einen Herumhänger, Aufschneider, Liebhaber des Schlendrians kennt man zur Genüge, glaubt man. Monika Helfer belehrt einen eines Besseren. Ihren Bruder Richard lässt sie uns als „ein Glückskind, das sich sein Unglück selbst schafft“ ansehen. Ein unbekümmerter Zeitverschwender und Liegenbleiber, der sich in der Ruhelage am wohlsten fühlte.

Mitreißender Fabulierer

Nur dreißig Jahre dauerte das Leben des Eigenbrötlers, der am liebsten Songs von „Canned Heat“ hörte, mit dem Leadsänger Alan Wilson, der sich bereits mit 27 Jahren umgebracht hat. Dieser Bruder namens Richard Helfer war allem Anschein nach ein begnadeter Schmähtandler, ein mitreißender Fabulierer von Geschichten, in denen es um viel Ausgedachtes, Unerhörtes, Unbewältigtes und wohl auch Unbewältigbares ging. Ein Phantast, der schon einmal in einer rostigen Badewanne den Bodensee durchqueren wollte, ohne schwimmen zu können. „Außer seinen Geschichten hatte mein Bruder nicht viel zu bieten“, schreibt die Autorin. „Kein Geld und auch keine Ambition, jemals viel davon zu haben, keinen Ehrgeiz. Er war ein hübscher Kerl mit hübschem lockigem Haar, das Gesicht schmaler als das von Alan Wilson, charakterlich mit demselben Mangel an modischem Geschmack wie der Musiker […]. Richard lächelte die Frauen an, zeigte seinen schiefen Schneidezahn, aber bemüht hat er sich nie um sie.“

Trotzdem ist ihm eine Frau zugelaufen, noch dazu eine mit zwei Kindern unbekannter Vaterschaft. Ganz offenbar ein von ihrer Mutterschaft überfordertes Hippie-Girl, das eines ihrer Kinder gleich einmal bei Richard abstellte, ehe sie für lange Zeit das Weite suchte. In der Darstellung der Schwester ist das eine über die Maßen gewissenlose Verführerin gewesen, eine schamlose Rabenmutter, der jedes Mittel recht war, ihrer Egozentrik zu frönen. Man schmunzelt ein wenig über die nachhaltige Empörung der Autorin, die ihren Bruder in dieser Beziehung ausschließlich als Opfer sehen mag.

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