Mississippi - © Foto: iStock/John_Brueske (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Oswald Egger: Wie Sprache die Natur erfindet

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Die enorme Sprachkunst von Oswald Egger zeigt sich auch in seinem jüngsten Band „Entweder ich habe die Fahrt am Mississippi nur geträumt, oder ich träume jetzt".

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Die enorme Sprachkunst von Oswald Egger zeigt sich auch in seinem jüngsten Band „Entweder ich habe die Fahrt am Mississippi nur geträumt, oder ich träume jetzt".

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Adalbert Stifter hätte Augen gemacht angesichts des jüngsten Buches von Oswald Egger. Über Natur schreiben andere auch, aber so wie Egger kriegt das niemand hin. Er bildet Natur nicht ab, auf dass sich sofort ein Wiedererkennungseffekt einstelle und wir erinnert werden an ein Stück Landschaft, das uns selbst schon einmal untergekommen ist.

Oswald-Egger-Natur ist mit nichts zu vergleichen, steht als absoluter Singulär im Raum, gerade so, als würden wir von einer Neuschöpfung überrascht werden. Das leistet die enorme Spracharbeit, die dieser Dichter – das als Auszeichnung sehr selten zu vergebende Prädikat passt in diesem Fall tatsächlich – auf sich nimmt, um aus etwas allgemein Zugänglichem etwas Einzigartiges zu gestalten. Es kommt nicht darauf an, ob die Beschreibungen der genauen Beobachtung zuzuschreiben sind oder der Fantasie entspringen, Egger leistet ein Höchstmaß an Individualisierung der Natur. Stifter versuchte das über das Prinzip der Versenkung in die ihm zugängliche Natur und macht Hochwald und Garten zu Objekten, die mittels Präzisionsarbeit in Sprache zu fassen sind.

Sie wird benannt mit den allgemein verfügbaren Wörtern und damit vorstellbar gemacht. Egger aber will anderes. Für Stifter ist ein Hochwald ein Hochwald wie andere auch, für Egger Von Anton Thuswaldner eine Flussbiegung ein singuläres Ereignis. Ereignis, kein Zustand! Nicht in erstarrte Bilder bringt Egger Wasser, Pflanzen und Gestein, sie sind in Bewegungsabläufen eingebunden. So überschaubar der Ausschnitt auch sein mag, es gibt ihn nur an dieser einen Stelle, die wie ein Individuum ein Verbund aus unverwechselbaren Merkmalen ist. Das liegt an der Sprache, die Egger für jeden Textabschnitt neu zu erfinden scheint. Aus dieser Sprache schält sich die Natur heraus, nicht umgekehrt, dass zur Natur die passende Sprache erst gefunden werden muss. Deshalb kommen wir mit Vergleichswerten schnell ans Ende, weil die Egger-Natur in unserer Welt nicht zu finden ist. Sie ist eine Vorstellungswelt, die sich aus der Sprachkühnheit erst ergibt.

Rhythmisch organisiert

Die Mississippi-Landschaft, von der angeblich die Rede ist, wird draußen in der Wirklichkeit nicht vorfindbar sein, sie ist eine Egger-Fantasie, rhythmisch organisiert, in 386 Abschnitte von jeweils 17 Zeilen gebracht, zwei auf jeder Seite. Das erfordert Disziplin und Ausdauer. Wagen wir einen Blick auf einen beliebigen Abschnitt, Nummer 25. Eine pastorale Szene, reichlich gewöhnlich, wenn sie sich nicht Oswald Egger mit seinem Sprachfuror vornehmen würde.

Bäume am Fluss kennt jeder, keiner Aufregung wert. Diese aber sind „zerschnürt wie Flachswocken“. Flachswocken? Das klingt wie eine Botschaft aus einer fernen Zeit, als Dornröschen sich noch am Spinnrad abquälen musste. Von den Bäumen schweift der Blick des Ichs ins Wasser, aus dem Felsen ragen. Das Ich bringt sich selbst ins Spiel („wo ich auch hinschaue“), sodass die Naturerscheinungen der Deutung des Beobachters überlassen werden.

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