Peter Demetz: Das Vergangene ist unverloren
Peter Demetz, der in Prag geborene Weltbürger der Literatur, feiert seinen 100. Geburtstag. Begeisterung und Neugier waren von jeher die Leitsterne, denen er folgte. Der Wallstein-Verlag hat nun eine Auswahl der Kritiken und Essays des Jubilars aus fünf Jahrzehnten aufgelegt.
Peter Demetz, der in Prag geborene Weltbürger der Literatur, feiert seinen 100. Geburtstag. Begeisterung und Neugier waren von jeher die Leitsterne, denen er folgte. Der Wallstein-Verlag hat nun eine Auswahl der Kritiken und Essays des Jubilars aus fünf Jahrzehnten aufgelegt.
Ein Grandseigneur der deutschen Literaturkritik wird 100 Jahre alt: Peter Demetz, aus Prag gebürtiger emeritierter Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der renommierten Yale Universität in den USA, vermag auf ein von den Zeitläuften schwer geschütteltes und dennoch erfolgreich gemeistertes Gelehrtenleben zurückzublicken.
Einem Tiroler klingt der Name Demetz vertraut. Er ist im ladinischen Grödental heimisch. Tatsächlich wanderte der Großvater des Kritikers von dort noch vor der vorletzten Jahrhundertwende ins Böhmische aus. Der Vater Hans Demetz, Dramaturg am Deutschen Theater Prag und zeitweilig Theaterdirektor in Brünn, heiratete eine tschechische Jüdin, sodass der Sohn in zwei sprachlich und kulturell denkbar verschiedenen Welten aufwuchs. „Meine Südtiroler Großmutter sprach zuhause ladinisch“, erinnerte er sich später. Im Elternhaus der Mutter auf der Kleinseite herrschten dagegen tschechisch und jiddisch vor.
Wörter der „Haushaltssprache“ seiner Kindheit hat sich Demetz dauerhaft in seinem Sprachschatz bewahrt. Vor 100 Jahren, am 21. Oktober 1922, geboren, erlebte der Prager Bub noch die Nachbeben der zerfallenen Donaumonarchie in T. G. Masaryks „Republik der Nationalitäten“, dem tschechoslowakischen Nachfolgestaat mit seiner großen deutschsprechenden Minderheit.
Der Herangewachsene erlebte nach dem verhängnisvollen Münchner Abkommen die NS-Okkupation seines Landes, das ab 1939 in ein „Protektorat Böhmen und Mähren“ gezwungen wurde. Er musste erleiden, wie seine Mutter und Großmutter wie auch weitere Verwandte nach Theresienstadt in die Vernichtung geführt und ihm selber als „Halbjuden“ Gestapohaft und Zwangsarbeit auferlegt wurden. Schließlich sah er mit an, wie die Kommunisten 1948 in Prag durch einen Putsch die Macht ergriffen. Da beschloss er zu fliehen.
Schatzkammer Literatur
Vorher war er noch an der Karls-Universität in Prag mit einer Arbeit über Kafka in Germanistik promoviert worden. Mit seiner späteren Frau Hannah flüchtete er Ende 1949 über die „grüne Grenze“ nach Bayern. In München arbeitete er eine kurze Zeit für Radio Free Europe, bis er 1953 in die USA auswanderte. An der Yale Universität in New Haven erneuerte er bei René Wellek sein Doktorat und wurde schließlich Sterling-Professor für Germanistik und Komparatistik.
Dass die Literatur eine Schatzkammer ist, deren Preziosen sich in ihrem schillernden, oft verborgenen Wert vor allem dem Kundigen erschließen, war ihm stets bewusst. Um den Kreis der Kenner zu erweitern, teilte er sein Wissen wie sein Urteilsvermögen als Kritiker und Essayist über Jahrzehnte beharrlich einem breiteren Lesepublikum mit. Zuerst in der Zeit, ab 1974 vor allem in der FAZ veröffentlichte Demetz seine luziden Betrachtungen zur überlieferten wie zur neueren Literatur.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!