Sands - © Foto: Getty Images / Awakening / Simone Padovan

Philippe Sands: „Der Versuch einer Versöhnung“

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Der Völkerrechtsexperte Philippe Sands hat sich jahrelang mit dem hochrangigen österreichischen Nationalsozialisten Otto Wächter auseinandergesetzt. Ein Gespräch über Verdrängung, Aufarbeitung und die bisher wenig beachtete Rolle von Frauen im Nationalsozialismus.

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Der Völkerrechtsexperte Philippe Sands hat sich jahrelang mit dem hochrangigen österreichischen Nationalsozialisten Otto Wächter auseinandergesetzt. Ein Gespräch über Verdrängung, Aufarbeitung und die bisher wenig beachtete Rolle von Frauen im Nationalsozialismus.

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Der vielfach ausgezeichnete Jurist und Schriftsteller Philippe Sands hat für sein neues Buch akribisch recherchiert und dabei bisher unveröffentlichte Quellen ausgewertet. Das Thema der sogenannten Rattenlinie, über die sich NS-Verbrecher durch Flucht der Justiz entzogen, beschäftigt ihn schon seit einiger Zeit.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch „Die Rattenlinie“, das gerade auf Deutsch erschienen ist, arbeiten Sie das Leben des österreichischen Nazis Otto Wächter auf. Eine sehr persönliche Geschichte, immerhin war er der Mann, der als Gouverneur von Lemberg für die Ermordung der Familie Ihres Großvaters verantwortlich war. Wie kamen Sie dazu, diese Geschichte zu erzählen?
Philippe Sands:
Bei einem Vortrag in Lwiw habe ich Niklas Frank, den Sohn des Kriegsverbrechers Hans Frank, kennengelernt. Dieser machte mich wiederum mit Otto Wächters Sohn, Horst, bekannt, der heute im österreichischen Weinviertel lebt. Daraus entstand eine Freundschaft und lange Zusammenarbeit, Horst verschaffte mir Zugang zum Nachlass seiner Mutter. Der Briefwechsel seiner Eltern zieht sich über 20 Jahre. Auf dieser Basis konnte ich die Familiengeschichte der Wächters rekonstruieren. Daraus folgte ein Artikel, ein Film, ein Podcast. Und jetzt ein Buch.

DIE FURCHE: Dabei hat Sie vor allem Otto Wächters Frau, Charlotte, fasziniert. Warum?
Sands:
Sie hat eine Schlüsselrolle in seiner Karriere gespielt. Sie war es, die ihn bestärkt hat, in die Politik zu gehen. Sie hatte persönliche Ambitionen und wollte mit den Mächtigen am Tisch sitzen. Und ihre Beziehung ist interessant. In den ersten 15 Jahren war Otto derjenige, der die Macht hatte. Ein Verhältnis, das sich mit dem Kriegsende 1945 umdreht: Otto, der gesuchte NS-Kriegsverbrecher, wird zum Gejagten und ist auf Charlotte angewiesen. Ich bin kein Historiker, aber diese weibliche Perspektive ist weitgehend unerzählt. Charlotte ist das schlagende Herz dieses Buches.

DIE FURCHE: Es geht also auch um die Rolle der Frau im Nationalsozialismus?
Sands:
Wir kennen meist nur die Geschichten der Männer. Aber dahinter standen immer auch Ehefrauen, Liebhaberinnen, Freundinnen. Es gab nicht nur eine Frau Wächter, sondern auch eine Frau Kaltenbrunner, eine Frau Seyß-Inquart, eine Frau Globocnik. Diese Frauen müssen auch eine wichtige Rolle gespielt haben.

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