Scheiternde Ehe: Unter Schock
Kampf um die Erinnerungen – Linda Boström Knausgård schildert in ihrem autobiografischen Roman „Oktoberkind“ eine quälende Krankengeschichte
Kampf um die Erinnerungen – Linda Boström Knausgård schildert in ihrem autobiografischen Roman „Oktoberkind“ eine quälende Krankengeschichte
Nein, das ist unmöglich. Nein, es gelingt partout nicht, ein offenkundig autobiografisches Werk einer Autorin namens Linda Boström Knausgård zu lesen, ohne an ihren Ex-Mann Karl Ove Knausgård, den weltberühmten Autor und Vater ihrer vier Kinder, zu denken. Und sich nicht daran zu erinnern, wie dieser in „Lieben“, dem zweiten Teil seines Mammutprojekts „Mein Kampf“, das Zerbrechen ihrer Ehe darstellte. Jahre später, auch das fällt einem wieder ein, äußerte sich Linda Boström Knausgård in einem Interview wütend darüber, wie sie in „Lieben“ gezeichnet wurde.
Alles, so könnte man folgern, spräche also dafür, dass „Oktoberkind“, Boströms dritter Roman, zum Gegenschlag ausholen und sich den Schilderungen ihres früheren Mannes widersetzen würde. Doch weit gefehlt: Ja, ihr Buch handelt vom Scheitern einer Ehe, eine Abrechnung, eine Schuldzuweisung ist es nicht. Stattdessen tauchen wir von der ersten Seite ein in eine quälende Krankengeschichte, als die unter einer bipolaren Störung leidende Ich-Erzählerin in eine psychiatrische Klinik, von ihr „Fabrik“ genannt, eingewiesen wird.
Vier Jahre lang, von 2013 bis 2017, wird sie, ohne sich dagegen wehren zu können, einer Elektrokrampfbehandlung unterzogen, einer Therapieform, die in Schweden anders als in den meisten anderen europäischen Ländern häufig angewandt wird. Eine der für die Erzählerin, Autorin von Beruf, besonders gravierenden Folgen ist dabei der mögliche Verlust der Erinnerung, der von einem ihrer Ärzte, einem „Trottel“, beiseitegewischt wird: „Ich sagte, ich sei Schriftstellerin und auf meine Erinnerungen angewiesen. Erst da sah er mich an und sagte: Die Erinnerungen kommen zurück. Das tun sie immer, früher oder später. Vielleicht nicht alle, bei Weitem nicht alle, aber es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eine Behandlung ohne Nebenwirkungen zu finden. Das verstehen Sie doch wohl? Sie können sich ja immer etwas ausdenken. Machen Schriftstellerinnen das nicht sowieso?“
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