Sontag - © Foto: Imago/Allstar

Susan Sontag: „Warum ist das Böse nicht überall?“

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Sie war eine ­Schönheit, sie war ein Star. Vor allem aber war Susan Sontag eine ­ausgezeichnete ­Essayistin. Am 16. Jänner würde die Schriftstellerin und Regisseurin ihren 90. Geburtstag feiern.

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Sie war eine ­Schönheit, sie war ein Star. Vor allem aber war Susan Sontag eine ­ausgezeichnete ­Essayistin. Am 16. Jänner würde die Schriftstellerin und Regisseurin ihren 90. Geburtstag feiern.

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Geboren wurde Susan Lee Rosenblatt, „zwei Wochen bevor Hitler zur Macht gelangte“, in New York City „als eine Amerikanerin der dritten Generation von polnisch-litauisch-jüdischer Herkunft“, wie die Schriftstellerin selbst einmal sagte. Sie wuchs im Süden der USA auf, in Arizona, in Kalifornien, erhielt nach dem frühen Tod ihres Vaters den Namen ihres Stiefvaters, Sontag, und wuchs mit europäischer Kultur auf, mit deutscher Literatur, die sie schon als Kind verschlang. Sie stieß früh auf Franz Kafka und auf Thomas Manns „Zauberberg“, „der ja von nichts anderem als dem Zusammenstoß unterschiedlicher Ideale im Innersten der europä­ischen Zivilisation handelt“. Der Besuch der 16-Jährigen bei Thomas Mann fand nicht nur Eingang in ihr Tagebuch, sondern auch in spätere Texte.

Im Vorwort der 2012 posthum herausgegebenen Tagebücher aus den Jahren 1964 bis 1980 („Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke“) meint Sontags Sohn David Rieff, die stärksten Momente fänden sich dort, wo sich seine Mutter in Bewunderung übe. Man verstehe dann auch jene Essays besser, „die in erster Linie Hommagen sind“, etwa an Walter Benjamin, Roland Barthes, Elias Canetti. „In meinen Augen kann man diesen Band mit Fug und Recht auch als politischen Bildungsroman betrachten – eben in dem Sinne, dass hier jemand zur Reife gelangt.“

Wissbegier und Bildung

Dass man zur Reife gelangt, dazu ist eine ständige Bewegung nötig, getrieben von Wissbegier, von Interesse, von Offenheit. Und von Bildung, würde Susan Sontag wohl ergänzen. Es braucht aber auch die Fähigkeit, eigene Thesen immer wieder kritisch zu hinterfragen, um das Denken weiterzuentwickeln. Auch davon zeugen Sontags Essays, die – heute gelesen – einerseits Zeitgeschichte erzählen, andererseits aber immer noch faszinierend aktuell sind. In ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“, das 2003 erschien, unterzieht sie die 1977 erschienenen Essays „Über Fotografie“ einer kritischen Relecture. Stimmt es denn, dass wir abstumpfen, wenn wir Bilder von Grausamkeit und Gewalt, von Verletzten oder Toten immer wieder sehen? Sie war sich nicht mehr sicher. „Die These, das moderne Leben bestehe aus einer Abfolge von Schrecknissen, die uns verderben und an die wir uns nach und nach gewöhnen, gehört zum Grundbestand der Kritik an der Moderne – und sie ist fast so alt wie die Moderne selbst.“ Aber sollte denn ein Wächterrat die Schrecken rationieren? Wohl kaum. Zudem würden die Schrecken nicht abnehmen, gäbe es weniger Bilder davon.

„Auch wenn sie nur Markierungen sind und den größeren Teil der Realität, auf die sie sich beziehen, gar nicht erfassen können, kommt ihnen eine wichtige Funktion zu. Die Bilder sagen: Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergeßt das nicht.“

Doch wichtig sind die Fragen dazu: „Solche Bilder können nicht mehr sein als eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit, zum Nachdenken, zum Lernen – dazu, die Rationalisierungen für massenhaftes Leiden, die von den etablierten Mächten angeboten werden, kritisch zu prüfen. Wer hat das, was auf dem Bild zu sehen ist, verursacht? Wer ist verantwortlich? Ist es entschuldbar? War es unvermeidlich? Haben wir eine bestimmte Situation bisher fraglos akzeptiert, die in Frage gestellt werden sollte? Dies alles – und obendrein die Einsicht, daß weder moralische Empörung noch Mitgefühl das Handeln bestimmen können.“

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