"Über die See" von Mariette Navarro: Meerfahrt mit Kapitänin
Mariette Navarros Debütroman „Über die See“ ist eine faszinierende Erzählung, die den äußeren und inneren Wellengang einer Schiffsführerin thematisiert.
Mariette Navarros Debütroman „Über die See“ ist eine faszinierende Erzählung, die den äußeren und inneren Wellengang einer Schiffsführerin thematisiert.
Ein erster Roman und gleich ein fulminantes Debüt: Das schmale Erzählwerk „Über die See“ der 42-jährigen Französin Mariette Navarro, die bisher als Lyrikerin und Dramaturgin hervorgetreten ist, reißt Kritiker nicht nur in Frankreich zu Begeisterungsstürmen hin.
Dabei gleitet diese Seegeschichte äußerlich denkbar ruhig und sensationsfrei über den literarischen Ozean. Die Turbulenzen, von denen berichtet wird, bleiben im Innenraum des Schiffs als dem alleinigen Schauplatz. Genau genommen bleiben sie im Innenraum der dort anwesenden und tätigen Personen.
Eine „Überfahrt ohne Stürme“ darf sich die Besatzung von der Führung einer erfahrenen Kapitänin erwarten, die ein riesiges Frachtschiff von Frankreich aus über den Atlantik Richtung Guadeloupe navigieren soll. Eine einzige Frau und eine vielköpfige Männercrew an Bord, die sich anstandslos dem Kommando der 38-jährigen Schiffsführerin anvertraut hat.
„Sie ist die Tochter eines Kapitäns, und ein Leben an Land stand nie zur Debatte“, heißt es über sie. „Von klein auf hat sie zu viel über Schiffe gelernt, als dass sie sich vom Meer hätte lossagen können. Sie hat sich für die Schifffahrt entschieden, diesen menschlichen Wissensschatz, für antikes Handwerkszeug und moderne Maschinen, Zahlen und Empfindungen, für kosmische Abstraktionen und die Sonne im Gesicht.“
Also heuert sie gern auch bei Betreibern riesiger Containerfrachtschiffe an. „Sie nimmt alle Aufträge an, holt den Frachter ab, egal wo er ist, übernimmt die Bestandsaufnahme, macht Verspätungen wett. Seit einiger Zeit hat sie das Gefühl, über Samt zu gleiten, in ihrem Beruf die Geschmeidigkeit einer perfekten Tanzchoreographin erreicht zu haben.“ Wenn sie die Augen schließt, scheint das Schiff ihr eigener Körper zu sein, „in sich ruhend und aufrecht“.
Ein Bad im Meer, auf hoher See
Unterwegs, kurz nach den Azoren, äußern die Matrosen einen ungewöhnlichen Wunsch: Sie möchten im Meer baden gehen. Zu ihrer eigenen Überraschung erklärt sich die Kapitänin einverstanden. Mitten im Atlantik wird Halt gemacht. Die Motoren und Radargeräte werden abgestellt, und der Besatzung wird das Freischwimmen im Meer erlaubt. Alle Männer an Bord nehmen den Badeausflug auf offener See mit Begeisterung in Anspruch. Im Beiboot lassen sie sich auf die azurblaue Wasseroberfläche absetzen und schwimmen nackt ihre Runden. Einzig die Kapitänin bleibt auf der Kommandobrücke.
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