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Vier neue Texte von Peter Matejka

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... she said, „heintje!“

wer weiß, vielleicht hätte es sich der 81jährige aus ottakring doch noch überlegt, vor schmerzen einfach zum strick zu greifen, wäre in diesem augenblick die leibhaftige pumarin am fenster seiner ebenerdigen Wohnung vorbeigegangen? zugegeben, ein ganzes leben lang täglich siebzehn stunden zu arbeiten, wirft sogar den stärksten elefanten um, besonders dann, wenn man mit seinen sieben mußestunden nichts rechtes anzufangen weiß, lieber zweifelhaften Vergnügungen nachgeht, als daß man sich entweder der familie widmete oder ausruhte, dafür können wir uns aber jetzt viel mehr leisten als früher, können uns jeden wünsch erfüllen, es ist auch beinahe unvorstellbar, daß der 81jährige nie einen der allenthalben mit ihren von hunden gezogenen vierrädrigen karren umherziehenden ärzte konsultiert habe; andrerseits, daß ihn keiner dieser entwurzelten gesellen auf der gasse angesprochen haben soll, um seine dienste anzubieten, sah man ihn doch nur zu häufig schmerzverzerrten gesichtes seiner wege gehen... allerdings wäre es zur betrachteten zeit fast unmöglich gewesen, die pumarin auf offener straße ihrem gewerbe nachgehen zu sehen, das hatte sie nämlich seit langem nicht mehr nötig, denn wahrlich regsten Zuspruches erfreute sich damals bereits ihr etablissement, für welches sie in auf kunstdruckpapier gedruckten Prospekten und katalogen, die die bunte fülle aller von ihr beherrschten mannigfaltigen Stellungen im Vierfarbendruck und nicht minder wortgewaltig anpriesen, mit erfolg die Werbetrommel schlug, nach getanem tagewerk, in ihren sieben mußestunden, mag sie dann manchmal am fenster gestanden sein, unter ihr nichts als die schlafende Stadt, mag sie sich an den lieben lustigen schelm aus ihrer jung-mädchenzeit erinnert haben, namentlich an seine unvergeßliche stimme, und wehmütig ... ... she said, „heintje!“ auf welch unerhörte weise jedoch sie zu guter letzt wieder auf den rechten weg kam, ihr gesamtes unehrenhaft redlich erworbenes vermögen dazu verwandte, die große glocke gießen zu lassen, deren klang ihr auch heute noch zu besonderen anlassen hören könnt, steht auf einem ganz anderen blatt.

lesebuchstory

es war lange kaspars wünsch gewesen, unabhängig sein zu können, als er dieses ziel nun endlich erreicht hatte, kaufte er sich einen alten, löcherigen topf, er bezahlte ihn gleich und trug ihn vorsorglich nach hause.

tautropfen sollst du sammeln, sagte er zu dem topf.

und er hob ihn auf und schaute durch seine löcher hindurch den himmel. himmelmodenschau: stratocumulus — knielang sonnenfreundlich bitte nähertreten.

kaspar war Philatelist; man fühlte das, wenn man mit ihm sprach, seine markenschätze bewahrte er in alten Zigarrenkisten auf, die ihm ein trafl-kant geschenkt hatte, den er dafür durch den löcherigen topf gucken ließ, die marken waren sein einziger stolz, tag und nacht hätte er sie befühlen und streicheln und ihnen liebe worte ins ohr flüstern können, n. kaspar ledig 12.3.97 180 oval braun keine, so lautete sein paß. früher, da er noch nicht unabhängig war, hatte er ihn oft durchgelesen, ja, sogar auswendig hersagen konnte er damals den text seines prsses. und heute?

er kommt rechts die straße entlang, eine verborgene lust in der hand, die seine nase reibt, plötzlich erhebt

sich ein leichter wind und reißt ihm den hut vom köpf.

wie er dem nachspringt, filmt ihn Johnny iv vom kamerateam 67. er hat den hut wieder, setzt ihn auf und geht weiter, da erhebt sich neben ihm ein käfer an der wand, sieht ihn an und sagt: kaspar n.? ja, ich bin es.

bitte nähertreten, sagt der käfer. seine nummer lautet 3—44—12. er wird dafür nicht bezahlt und liebt keine überstunden, kaspar sieht den käfer so lange an, als er es mit seiner Unabhängigkeit vereinbaren kann, dann geht er weiter.

am ende der straße steht ein mann, der seine fingernägel beißt, warum tun sie das? fragt ihn kaspar. ich tue es im namen DES, sagt der mann; seine niedrige stirn schließt jeden Widerspruch aus. erhobenen hauptes entfernt sich kaspar. sein letzter wünsch war, durch seinen löcherigen topf „zum letzten mal“ den gefangenenchor seiner marken-sammlung singen zu hören, er wurde ihm gewährt.

anschuldigungen

ich füttere meinen gepard selbst, er schaut mich an, das heißt, natürlich ist und bleibt er ausländer, aber ich habe sie ja auch nicht um ihre mei-nung gefragt, der arzt, der meinen gepard untersucht, braucht sich nichts darauf einzubilden, guten morgen, liebe hörer, sagt das radio, wie der arzt eines hat. die gehirn-paralyse ist ein krankheit, welche nicht unbedingt in der familie zu liegen braucht, und ähnlicher unsinn verschönert unseren alltag. damit hat mein gepard nichts zu tun, man soll ihn mir nicht ablenken, immer diese Vertraulichkeiten zwischen außenstehenden, man kennt sich nicht mehr aus. da haben sie zwei tabletten gegen das schädelweh, sagt der arzt. dann klopft er meinem gepard mit dem hämmerchen auf das knie, es ist nicht auszuhalten, die große der Unternehmung blendet den bundespräsidenten an der wand, die tragweite dessen, daß ihn fliegen beschmutzt haben, geht ihm nicht ein, mein gepard würde jeden alten herrn auf jeden fall verschonen, wir wollen baren jagen, das wetter tut mit, zur Sicherheit habe ich fünf butterbrote in einer schachte! und bin warm angezogen, wenn nur die baren nicht aus dem tiergarten sind, was glauben sie, was ich dann für Scherereien hätte! sogar mein gewehr besitze ich illegal, meinen Waffenschein müssen die neonazistischen Umtriebe verschluckt haben; sparen sie sich ihr plumpes beileid, mein puls geht normal, vielleicht regnet es morgen.

ach ja, die bärenjagd wird anstrengend werden, ich freue mich schon auf den ersten schuß, damit komme ich in die Wochenschau, wenn ich einmal einen herzschlag habe, fahre ich ans meer, dann müssen die baren ohne mich auskommen, wozu werden sie denn bezahlt, meine auf-räumefrau dichtet in ihrer freizeit: im wald ist es kalt, denn der wald, der ist alt. köpf hoch, wir haben es bald überstanden, wenn ihnen der kram nicht paßt, können sie ja hinausgehen, den unterrichtsminister ohrfeigen oder bloß eine Tafel Schokolade kaufen, vielleicht die mit den roten streifen, die beseitigt mundgeruch sofort, und darum sind mir die baren aus dem tiergarten unsympathisch, weil es ihnen so aus dem mund stinkt, in der Kirche dreht sich sogar der oberministrant nach ihnen um. jetzt fällt mir gerade ein, daß es ja bei uns gar keine baren gibt, ich habe mir also nur etwas vorgemacht, ich habe schon immer talent für die Politik gehabt, mein zimmer ist voll davon, es geht nicht einmal alles in den schrank, ich meine, mit ein wenig geduld vielleicht schon, aber wer nimmt sich die zeit dazu, wo man uns jetzt sogar die uffizien naß gemacht hat?

es ist unglaublich, heute morgens habe ich daran gedacht, daß ich eigentlich schüler einer höheren

lehranstalt bin. nebenan hat sich der Zimmernachbar rasiert, ich glaube, mit Starkstrom, und wie ich mit dem denken fertig war, ist mir das Schuhband abgerissen, das hat man davon, dachte ich mir, aber da war es schon vorbei, der briefträger hat sich dann auch verspätet, wo wir doch gar keine post bekommen, aber es ist doch gut, wenn man möglichst viel weiß, dann wird einem nie so richtig heiß, wie es im volksmund heißt.

march 1968

da wären wir ja schön verrückt, konstatierte ich, hier beim pittner zu sitzen und womöglich über die blockfreien Staaten zu sprechen, aber wir brauchen anhaltspunkte für weiteres, also gehen wir zum limlei; ein wenig zeit haben wir noch, dann müssen wir zum begräbnis der frau rosl glänz, der frau unseres klassen-vorstands. um die Situation zu klären: aus pietät, denn fast keiner von uns hat sie gekannt, der glänz, franz glänz, trägt diesen schlag wie ein Supermann, ohne sichtliche bewe-gung. er ist ein vir vere romanus christlichen ausmaßes. reihe unseres eintreffens nach: Josef enz ein achtel roten, hermann geyer (wally) einen schnaps, hans prein-reich einen schnaps und ein paar würstel, josef enz auch einen schnaps, franz hollaus einen schnaps und ein paar würstel, ich detto beim schnaps und so kommen mir immer plane, und so weiter, das sollte ich festhalten, denke ich, einmal festhalten für später, wie es so kommen konnte bis zum limlei, auch den limlei selbst einbeziehen, den wirt, der gewußt hat, daß man gegenüber dem friedhof immer ein geschäft machen kann, aber dann scheint es, daß es auch schön wäre zu untersuchen, wie es jetzt weitergehen wird; wahllos einen tag herausgreifen, sage ich mir, das ist der nullpunkt, und was vorher war, schwamm drüber, und vom nachfolgenden nur das sagen, was sich leicht fassen läßt, was klares also und überschaubares, über uns, die wir hier sitzen, und über andere von uns, die auch alle zum begräbnis erscheinen werden.

das ist also der nullpunkt. wenigstens der sollte klar sein, daß auch andere mitkommen, ohne mätzchen muß das gemacht werden, daß man sich auskennt und sagen kann, aha so ist das. hoffentlich läßt sich das machen.

aber die klarheit, lieber leser, die du suchst, findest du nicht, es hat sie weggerissen, sie liegt unter unseren fußen, unter unserem gleichen schritt und tritt, und ob sie dir gilt oder mir, diese klarheit, das kann mir das begräbnis der glanz-rosl nicht sagen und auch nicht der film, in den wir dann gegangen sind, ich und der franz und der sepp (enz), und der sepp und ich und der franz usw. bis wir endlich (auf einmal) klarheit haben wie es heißen soll: der sepp und der franz und ich waren nach dem begräbnis der glanz-rosl Im kino und haben einen grauslichen film gesehen: ich tötete rasputin.

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