
Zum Tod von Friederike Mayröcker: „da die Seele sich aus dem Staub“
Friederike Mayröcker blieb bis ins hohe Alter jung – und hat die Literaturszene fast ein Dreivierteljahrhundert bereichert. Am 4. Juni ist sie mit 96 Jahren in Wien verstorben.
Friederike Mayröcker blieb bis ins hohe Alter jung – und hat die Literaturszene fast ein Dreivierteljahrhundert bereichert. Am 4. Juni ist sie mit 96 Jahren in Wien verstorben.
Friederike Mayröcker war eine der ganz Großen unter den deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwartsliteratur. Preisgekrönt und vielfach ausgezeichnet, unterwegs auf ihrem ganz eigenen Weg fernab des Mainstreams und seit ihrer zweiten Veröffentlichung „Tod durch Musen“ (1966) einem nahezu obsessiven Schreiben verfallen. Heute ist ihr umfangreiches mannigfaltiges Werk, das sich über die Jahre hinweg immer neu changierend zeigt und kontinuierlich verändert hat, kaum mehr zu überblicken. Bis ins hohe Alter hat sie mit wachem Geist geschrieben und publiziert. Ihr jüngster Band „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“, den sie wie schon andere zuvor in einem Interview als letzten angekündigt hatte, ist erst 2020 bei Suhrkamp, ihrem langjährigen Verlag, erschienen. Am 4. Juni ist sie in Wien gestorben.
Man kennt Friederike Mayröcker als Exzentrikerin. Mit der Entscheidung für die Literatur war für sie zugleich eine radikale Hinwendung zum Schreiben – als „süße Drangsal“ – verbunden. Über das legendäre Bücher-Papier-Schachtel-Zettel-Chaos mit der „hier ALLES TABU“-Schiefertafel in der Wiener Zentagasse ist gerne berichtet worden. In diese „Schreibkammer“ hat sie sich in „absoluter Einsamkeit“ zurückgezogen. In einer Nische des Wiener Literaturmuseums ist diese Zettelwelt mit an Schnüre gekluppten Texten bereits nachempfunden. Der Materialkosmos rings um sie herum bedeutete Anregung, setzte den magischen Assoziations- und Schreibfluss in Gang, ja brachte ihn erst so richtig zum Pulsieren und Schwingen. „Schreiben ist das halbe Leben. Lesen ist das ganze Leben“, hat sie einmal an anderer Stelle in einem Gespräch gesagt. Bedeutung und Wahl der Lektüre lassen sich in ihrem Werk kontinuierlich mitlesen. Zumindest in der letzten Zeit kristallisierte sich der französische Philosoph Jacques Derrida, um nur einen von vielen zu nennen, als besonders wichtig für sie heraus.
Im Rausch der Blüten
Ganz generell waren Leben und Schreiben in ihrer Welt eins, quasi untrennbar miteinander versponnen. Oft gab sie selbst in die Etappen des Schreibprozesses Einblick. Beim Aufwachen brachte sie bereits Traumfragmente zu Papier – Zettel und Kugelschreiber lagen immer neben dem Bett bereit –, manchmal schrieb sie sogar auf dem Leintuch weiter. Später tippte sie in einer „Phase des erregten Schreibens“ das flüchtig Hingekritzelte auf ihrer „Hermes Baby“, daneben hörte sie Musik, vornehmlich Bach, Liszt, Schumann und anderes. Auch Tonspuren lagerten sich indirekt in ihren Texten ab, als zu Klangräumen konnotierte poetische Sedimente.
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