Liturgie mit Lego und Beton

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Kunst und Ästhetik der Gegenwart im "heiligen" Raum des Barock: Ein radikales Projekt in der Wiener Jesuitenkirche.

Meistens wird im Raum von Ästhetik und Liturgie angenehme Zimmertemperatur bevorzugt. Nur nichts Ungewöhnliches. Nur kein Risiko. Nur nicht die Finger verbrennen. Einem alten Leitbild, dem brennenden Herzen, folgend, haben wir uns in der Wiener Jesuitenkirche weiter vorgewagt.

Nachdem im Rahmen des Projekts "POSITION: GEGENWART" schon eine Reihe bedeutender Künstler mit jeweils einem Werk in der Kirche präsent war, sollten diesmal Manfred Erjautz und Michael Kienzer den Altarraum neu gestalten. Das ist die "Kernzone" der Liturgie. Wer hier tätig wird, hat sich an strenge Regeln zu halten.

Gestaltungs-Regeln

Richtlinien und Regeln, die bei der Gestaltung liturgischer Orte und Geräte zu beachten sind, finden sich für die katholische Kirche unter anderem in der Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch oder in der im April erschienenen Liturgie-Instruktion "Redemptionis Sacramentum". Für die Erzdiözese Wien wurden vor gut drei Jahren Richtlinien für die Gestaltung eines neuen Altars und der übrigen liturgischen Funktionsorte herausgegeben.

Die Anweisungen befassen sich eingehend mit der Wahl der Materialien. Auf Fragen der Gestaltung gehen sie nur sehr allgemein ein. Einige wichtige Hinweise werden fast beiläufig gegeben. Es soll Wert gelegt werden auf "edle Schlichtheit". Es wird damit einer bestimmten Qualität der Form, der künstlerischen Gestaltung der Vorzug gegeben. Denn die Gestaltung der Dinge soll Maß nehmen an der Gestalt Jesu Christi.

Es genügt nicht, Vorschriften ihrem Wortlaut nach zu befolgen. Sondern das in ihnen Gesuchte und Gewollte ist zu erkennen und auch über das in der Vorschrift wortwörtlich Gesagte hinaus anzustreben. Das läuft auf eine Radikalisierung von Forderungen hinaus, wie sie von Jesus in der Bergpredigt (Mt 5, 17-48) formuliert wird.

Überschrittene Vorschriften

Wenn Vorschriften übergangen werden, dann in Richtung des in ihnen Intendierten. Mein langjähriger Umgang mit Künstlerinnen und Künstlern hat mich gelehrt, dass eben ein solches Überschreiten von Vorschriften von ihnen zu erwarten ist. Überall dort, wo - künstlerisch gesehen - das Außerordentliche und Ungewöhnliche geschieht, besteht für die Kirche die Chance, das von ihr Gesuchte und Gewollte radikal verwirklicht zu finden.

Als Beispiel nenne ich die Installation GENERAL SYSTEMS, die zur Zeit in der Wiener Jesuitenkirche zu sehen ist. Michael Kienzer hat Altar, Ambo und Priestersitz gestaltet. Von Manfred Erjautz stammen Altargeräte und ein Stehkreuz.

Manfred Erjautz baute die von ihm geschaffenen Geräte aus Lego. Schon seit 1989 arbeitet er mit diesem Material. Kinder in aller Welt spielen mit ihm. Manfred Erjautz übernimmt in seine Kunst jene Modelle, aus denen Kinder im Spiel ein Abbild der Welt der Erwachsenen schaffen.

Eines der Geräte ist für die Aufnahme der Hostien bestimmt. Ein Lastwagen und ein Anhänger sind parallel zueinander gestellt. Auf beide ist eine Art Mauer aus kristallklaren Bausteinen gesetzt. Zwischen die geöffneten Türen der Fahrzeuge kann eine große Hostie stehend eingefügt werden. Auf einer der Türen ein Fischsymbol und darunter das Wort "Transport".

Kelch als Haus-Modell

Das andere Gerät, für die Aufnahme des Weins bestimmt, ist ein Architekturmodell. Ein Haus auf einer Bogenkonstruktion. Beides auf einem Unterbau aus kristallklaren Bausteinen, wie schwebend. Das Haus ist oben offen, unvollendet, nicht abgeschlossen. Es hat Fenster und Türen. Das Innere des Hauses wird von einer kleinen, sorgfältig eingepassten Glasschale ausgefüllt. Von oben und durch die Fenster kann in das Innere des Hauses hinein geschaut werden.

Das für die Hostien bestimmte Gerät ist als Ort eines Fischtransports gekennzeichnet. Der Fisch ist ein uraltes Symbol für Jesus Christus. Das für die Aufnahme des Weins bestimmte Gerät knüpft an die biblische Symbolik der Architektur, Haus, Tempel und Stadt, an. Gebautes, das einen Raum schafft, in den Gott eintreten kann.

Altar aus Bausteinen

Das dritte der Geräte, ein Stehkreuz, ist aus kristallklaren Bausteinen geformt. Der vertikale Balken wird unterbrochen von einem Lastwagenmodell, aus dem vorne und hinten der horizontale Balken herauswächst. Das Zeichen des Kreuzes wird mit Transport in Verbindung gebracht. Die Türen des Lastwagens sind alle weit offen. Ein Durchblick tut sich auf. Das Kreuz als Mittel, einen Weg zurückzulegen, als ein Durchgang auf etwas hin. Das Kreuz nicht als Ende, sondern als Ort eines Aufbruchs, als Durchbruch und Öffnung.

Gebilde der Einfachheit

Die Arbeiten von Michael Kienzer sind aus Beton. Es sind Gebilde äußerster Einfachheit. Sie erinnern an die Anfänge dessen, was hier gefeiert wird. Der Altar besteht aus einem Unterbau aus zwölf Stühlen, über die eine Platte gelegt ist. Der 13. Stuhl ist als Priestersitz abseits aufgestellt. Zwei Kisten aus Beton bilden den Ambo, das liturgische Lesepult. Orte großer Einfachheit, elementarer Schlichtheit.

Sowohl durch ihre Maße als auch durch die Variierung bestimmter Farbtöne stehen die Platten des Altars in einer Beziehung zu den Bodenplatten der Kirche. Das und die Proportionen des Blocks geben dem Altar einen festen Halt im Raum der Kirche. Das von vorne betrachtet wie schwebend wirkende Gebilde ist im Raum fremd und beheimatet zugleich. Es gehört hierher und ist zugleich ganz anders als seine Umgebung.

Altar und Ambo haben große Zustimmung und Bewunderung gefunden, aber auch entschiedene Ablehnung. Abgelehnt wird vor allem, daß sie sich nicht harmonisch dem Raum einfügen. Auch das verwendete Material, Beton, sei dem Raum fremd. Das stimmt. Allerdings muss die Frage gestellt werden, ob nicht dieser Altar für die Gegenwart weit eher ein Bild Jesu Christi ist als ein Altar, der sich harmonisch dem Alten anpasst.

Ist nicht Jesus auch ein Zeichen des Widerspruchs? Gerade in dem äußerst reich ausgestatteten Raum der Jesuitenkirche ist die große Schlichtheit und edle Klarheit dieses Altars ein Hinweis auf die Gegenwart des Geistes Christi in unserer Zeit. Umso mehr, als der Altar nicht einfach ein Widerspruch zum umgebenden Raum ist, sondern zu ihm in Beziehung steht.

Blasphemie? Ehrfurcht?

Noch größere Kontroversen haben die Arbeiten von Manfred Erjautz hervorgerufen. Die Verwendung von Lego lässt an Kinderspielzeug denken. Und dann ist der gedankliche Sprung, das Ganze habe blasphemische Züge, leicht vollzogen. Aber ist es so einfach? Das Material der beiden liturgischen Gefäße entspricht nicht den Vorschriften. Das ist klar. Die Gefäße sind auch praktisch nicht verwendbar. Eine sehr intime Form der Feier, eine Anbetung des Allerheiligsten, würde ihnen vielleicht entsprechen.

Aber in der nahen und eingehenden Betrachtung zeigt sich auch, auf welche Weise diese Gefäße, so überraschend das sein mag, den Vorschriften doch gehorchen. Sie erweisen dem Herrn, für dessen Aufnahme sie gestaltet wurden, eine ganz außerordentliche Ehre. Auch hier wieder mit Mitteln, die ungewohnt und zuerst sehr fremd sind. Aber vielleicht entsprechen gerade sie weit mehr der Gegenwart Jesu Christi in der heutigen Zeit, als eine Verwendung aufwendiger und teurer Materialien. Manfred Erjautz hat Schritte in noch unbekanntes Territorium unternommen. Vielleicht kann die Frage der Gestaltung liturgischer Geräte behutsam auch in diese Richtung untersucht werden.

Der Autor, ist Rektor der Jesuitenkirche in Wien I.

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