Lkw-Kolonnen - und nirgends ein Ende?

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Neuauflage der Auseinandersetzungen zwischen der EU und Österreich in Sachen Transit-Vertrag. 2003 läuft dieser aus. Aber was dann?

Im EU-Rat hat sich Verkehrsminister Mathias Reichhold bereits kalte Füße geholt: Die 108-Prozent-Klausel wird dem Vernehmen nach gestrichen. Sie besagt: Gibt es in einem Jahr mehr als 1.610.172 Lkw-Transitfahrten (108 Prozent des Wertes von 1991), so kommt es zu Einschränkungen der Durchfahrten im Folgejahr.

Diese Klausel erwies sich allerdings schon bisher als Papiertiger. In den letzten drei Jahren wurde die erwähnte Marke jeweils überschritten - ohne Folgen. Tiroler Unmutsäußerungen und Drohungen ändern nichts an der Grundtatsache, welche lautet: Die EU ist auf das Prinzip des freien Warenverkehrs gegründet und duldet daher keine mengenmäßigen Verkehrsbeschränkungen. Die im EU-Parlament derzeit laufenden Bemühungen, den Transit-Vertrag dennoch zu retten, werden das wohl kaum entscheidend ändern.

Österreich, an den Nord-Süd und den Ost-West-Transitrouten gelegen, ist Leidtragender dieses Dogmas vom freien Warenverkehr und hat besonders an den FoLkwgen der Verkehrsexplosion in der EU zu tragen. Derzeit sind auf den Straßen der Union 170 Millionen Motorfahrzeuge unterwegs. Und jährlich kommen weitere drei Millionen dazu. In der Personenbeförderung schluckt die Straße 79 Prozent des Verkehrsaufkommens, beim Frachtverkehr 44 Prozent. 41 Prozent der Güter werden per Seeschifffahrt befördert und der Bahn kommen nur magere acht Prozent zu. Ändert sich an den derzeitigen Gegebenheiten nichts, so wird bis 2010 die Hälfte der Güter auf den Straßen rollen.

Was den Alpentransit anbelangt, so hat er sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Und der Großteil der Belastung traf den Brenner. Im Vorjahr beförderten 1,4 Millionen Lkw (2,7 pro Minute) rund 25 Millionen Tonnen über den Pass. Weit abgeschlagen dahinter, was die beförderten Mengen anbelangt, liegen der St. Gotthard und der Übergang bei Ventimiglia an der französisch-italienischen Grenze (siehe Grafik).

Straße statt Schiene

Hat sich Österreich, hat sich Tirol, also damit abzufinden, dass es vom Verkehr überrollt wird? Bleibt der Slogan "Schiene statt Straße" ein wohlklingender Appell, der umweltbewegte Gemüter besänftigen soll, an der tatsächlichen Entwicklung aber nichts ändert? Müssen erst die aufgebrachten Bewohner des Wipp- und des Inntals wochenlang die Autobahn blockieren, bis sich etwas an der Transitentwicklung ändert?

Erste ernst zu nehmende Anzeichen für eine Änderung der EU-Verkehrspolitik liefert das EU-Weißbuch "Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft". Ihre Forderungen:

* Entkoppelung von Verkehrs- und Wirtschaftswachstum,

* Abbau der Umweltbelastung durch den Verkehr,

* Verringerung der Staus,

* Erhöhung der Verkehrssicherheit,

* Abbau der Überlastung der Infrastruktur, denn Europa drohe "der Infarkt im Zentrum und Lähmung an den Extremitäten". Daher Förderung von Schiene, Seeverkehr, Binnenschifffahrt und eines Programms der Intermodalität, also des Zusammenwirkens der Verkehrsträger.

Damit dies nicht nur schöne Worte auf geduldigem Papier sind, sieht die heuer zu erlassende Wegekosten-Richtlinie eine wichtige Regelung vor: In Zukunft sind dem Verkehr nicht nur die Aufwendungen für die Infrastruktur (also der Straßen, Brücken, Tunnels...) in Rechnung zu stellen, sondern alle Kosten, die er verursacht.

Verwirklicht man dieses Prinzip, so wird sich der Straßenverkehr sehr verteuern. Denn bei den externen Verkehrskosten kommt einiges zusammen: Aufwendungen für den Umweltschutz, negative Wirkungen für das Klima, Spitals- und Rehabilitationskosten nach Unfällen. Eine im Jahr 2000 in Brüssel vorgestellte Studie bezifferte die Höhe dieser Kosten für die EU-Länder, die Schweiz und Norwegen auf 605 Milliarden Euro (8.325 Milliarden Schilling), neun Prozent des Inlandprodukts dieser Länder. Man bedenke, dass allein im Jahr 2000 sage und schreibe 41.000 Europäer im Straßenverkehr ums Leben gekommen sind!

Für Kostenwahrheit

Die EU will also in Zukunft auf Kostenwahrheit, sprich drastische Verteuerung des Straßenverkehrs, setzen und damit lenkende Effekte auslösen, die auch den Straßentransit verringern werden. Damit wird zwar nicht von heute auf morgen das Projekt "Schiene statt Straße" verwirklicht, aber die Weichen werden gezielt in diese Richtung gestellt. Auf diesen Zug heißt es aufzuspringen. Problematisch ist ja nicht nur der Transit-, sondern der Straßengüterverkehr an sich. Ihn gilt es ganz allgemein einzudämmen, und der Großteil der von ihm ausgehenden Belastung ist hausgemacht.

Eine weitere Neuerung der Wegekosten-Richtlinie bietet eine Handhabe, um den Schienenverkehr auch tatsächlich auszubauen: Was bei der Bemautung des Straßenverkehrs eingenommen wird, soll künftig auch zur Finanzierung Bahninfrastruktur eingesetzt werden können, was sinnvoll und zukunftsträchtig ist.

Die Schweiz beschreitet diesen Weg schon jetzt - und zwar mit Erfolg. Seit Jänner 2001 gilt in unserem westlichen Nachbarland eine elektronisch gemessene leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe: In Abhängigkeit von der Zahl der gefahrenen Kilometer, der Tonnage und der erzeugten Umweltbelastung haben Lkw eine Maut zu entrichten. Diese Maßnahme hat sich bewährt, wie eine EU-Studie ergab:

* Während der Straßengüterverkehr zwischen 1995 und 2001 um rund fünf Prozent pro Jahr zugenommen hatte, nimmt er nun ab.

* Die Lkw-Flotte wurde "sauberer", denn die Unternehmer investierten in schadstoffärmere Fahrzeuge.

* Der Auslastungsgrad der Fahrzeuge stieg.

Ein Erfolg also, der durch sukzessives Anheben der Mautgebühren (in fünf Jahren bis auf 220 Euro für 300 Kilometer) die Zahl der alpenquerenden Lkw-Fahrten auf 650.000 verringern soll. Der Rest wird dann per Bahn durch die Schweiz befördert. Der Bau riesiger Tunnels für die "rollende Landstraße" soll dies ermöglichen: 38 Kilometer durch den Lötschberg-Tunnel (Fertigstellung 2007) und 57 Kilometer durch den St Gotthard (Fertigstellung 2012). Die Einkünfte aus der Straßenmaut tragen zur Finanzierung der Großprojekte wesentlich bei.

Eine ähnliche Schwerpunktsetzung ist in Österreich überfällig. Denn hier bahnt sich ein weiteres Transit-Chaos in der Ostregion im Gefolge der EU-Erweiterung an. Mit einer Verdreifachung des Güterverkehrs sei zu rechnen, schätzt der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) in einer Studie. Auf der A 4 seien bei Bruck/Leitha schon jetzt 2.300 Lkw pro Tag unterwegs. 2010 würden es ohne Bahnausbau 7.700 sein, mehr als auf dem Brenner heute. Stark steigen dürfte auch der Lkw-Verkehr beim Knoten St. Pölten: Von derzeit 8.400 auf 13.600.

Überlagert wäre diese Entwicklung von starken Steigerungen im täglichen grenzüberschreitenden Berufsverkehr in der Ostregion, schätzt "Sustrain", eine neue Studie zum Thema: Allein nach Wien sei mit 60.000 Personen aus dem Raum Bratislava zu rechnen und mit 32.000 in umgekehrter Richtung.

Was das für das Straßennetz im Großraum Wien bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Ob der im Vorjahr präsentierte Österreichische Generalverkehrsplan dieser Entwicklung ausreichend Rechnung trägt, ist jedoch fraglich. Zwar räumt er den Bahnprojekten Priorität ein: So sollen von den vorgesehenen Gesamtaufwendungen von 45,1 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur rund 30 Milliarden in die Bahn-Infrastruktur fließen. Die Verbesserung der Bahnverbindungen mit den EU-Beitrittswerbern rangiert aber am unteren Ende der Liste. Dabei sind deren Leistungsgrenzen schon jetzt absehbar. Im Gegensatz dazu wird den Straßenverbindungen zu den östlichen Nachbarn (Wien-Bratislava und Wien-Brno) jedoch Vorrang eingeräumt.

Zu befürchten ist daher, dass ohne Ausbau der Bahnverbindungen nach Osten und ohne massive Lkw-Bemautung der Straßen, sich im Ost-West-Transit bald Ähnliches abspielen wird wie derzeit auf den Nord-Süd-Routen. Und auch diese wird man wohl durch eine deutliche Verteuerung der Straßenbenützung und des Baus eines Brenner-Basistunnels am wirkungsvollsten entlasten.

Auf den Bau dieses Tunnels drängt die EU derzeit und ist bereit, sich mit 50 Prozent an dessen Planungskosten (45 Millionen Euro) zu beteiligen. Bedenkt man all das, so scheint es angebracht, den in der Generalverkehrsplanung für die Errichtung Brenner-Basistunnels vorgesehenen Zeitpunkt (2021) neu zu überdenken.

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