Locarno: Die Kunst braucht Unterhaltung

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Das Filmfestival öffnete sich dem hastigen Hollywood-Mainstream. Im Wettbewerb dominierte Langsamkeit.

Selten zuvor hatte Locarno eine solche Medienöffentlichkeit. Das lag aber nicht daran, dass am Samstag mit der schweizerisch-argentinischen Koproduktion "Abrir puertas y ventanas“ (Bild unten) ein kleines, feines Kammerspiel um drei Mädchen, die um ihre Großmutter trauern, den Goldenen Leoparden und den Preis für die beste Hauptdarstellerin Maria Canale erhielt. Regisseurin Milagros Mumenthaler hat mit großer filmischer Statik die Ängste und die Entwicklungen der Frauen beschrieben, und damit einen der beachtenswertesten Beiträge in einem überwiegend spröden Wettbewerb gestellt.

Nein, der Grund für die Medienaufmerksamkeit waren die großen Namen, mit denen Festival-Leiter Olivier Père in diesem Jahr auftrumpfte. Mit Daniel Craig und Harrison Ford kamen zwei Kaliber hierher, die man gewöhnlich nur in Cannes oder Venedig zu sehen bekommt - aber Locarno, das als Festival für die hohe Filmkunst gilt - will und muss sich dem Mainstream öffnen, will es weiterhin in der A-Liga mitspielen. Zuletzt bekam Locarno im eigenen Land Konkurrenz: Denn das Festival in Zürich nimmt viel Geld in die Hand, um ebenfalls mit großen Namen zu glänzen.

Klingende Namen und ein Ehrenleopard für Abel Ferrara

Daher hat Père neben der Premiere des sinnfreien Blockbusters "Cowboys & Aliens“ auch noch weitere klingende, wenngleich gehaltvollere Namen parat: Abel Ferrara erhielt einen Ehrenleoparden fürs Lebenswerk und durfte auf der Piazza Grande auf seiner Mundharmonika spielen. So beherzt, dass man ihn gewaltsam durch Ausblendung des Tons stoppen musste. Gérard Depardieu kam, um über seine Filme mit Maurice Pialat zu sprechen und traf bei der Gelegenheit auf Isabelle Huppert, die ebenfalls einen Ehrenpreis erhielt. "Ich verstehe das Kino als einen Ort für alle Menschen“, sagt Olivier Père. "Das schließt den Arthaus-Film ebenso ein wie den Blockbuster. Kino ist Kunst, aber auch Unterhaltung.“ Keine neue Weisheit, aber eine wahre.

Obwohl sich Père geradezu frenetisch über seinen diesjährigen Wettbewerb freute ("Ein überaus starker Jahrgang“), blieben die Reaktionen darauf eher verhalten. Die meisten Geschichten, die hier erzählt wurden, sind mindestens so dünn wie jene aus dem Blockbuster-Fach; nur kommen sie ohne Effekte aus und provozieren mitunter arge Langatmigkeit. "Low Life“, "Mangrove“ oder "El año del tigre“ - sie alle zelebrieren unter dem Label "Filmkunst“ unendliche Langsamkeit. Mia Hansen-Løves "Un amour de jeunesse“, mit einer lobenden Erwähnung bedacht, ist das Ärgernis dieses Festivals: Klischeeüberladen zimmert sie die Fantasie einer immerwährenden Teenager-Liebe. Innovationen sehen anders aus.

Immerhin zeigte die Jury mit dem israelischen Beitrag "Hashoter“ (Jurypreis) und dem rumänisch-ungarischen Film "Best Intentions“ (Regie- und Darstellerpreis) zwei Arbeiten mit relevanter Aussage aus: Das erste, ein brisantes Gesellschaftsdrama, das andere ein beklemmendes Bild einer Familienkrise.

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