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Vom Siegeszug einer russischen Kamera zu den ersten Lomo-Shops in Österreich.

L omo - was ist das eigentlich? Eine Philosophie, eine Sekte, eine akademische "Leerformel von metaphorischem Unsinn"? Nichts von alledem. Lomo ist ein mysteriöser russischer Fotoapparat von geradezu beglückender Schlichtheit, mit dem ohne viele Umstände die schrägsten Schnappschüsse der Welt getätigt werden können. Tiroler Studenten in Wien entdeckten die Kamera auf Flohmärkten, machten die ersten lomographischen Versuche - und kreierten, ohne es vorerst auch nur zu ahnen, einen neuen künstlerisch-experimentellen Fotostil, die Lomographie. Die jungen Fotoamateure hatten Spaß daran, aus möglichst verrückten Positionen möglichst viele verrückte Fotos zu schießen - authentisch, aber doch ausgefallen, bunt, spontan, pfiffig und brillant - und diese möglichst billig entwickeln zu lassen. Als flippig-absurde Fotocollagen auf großformatigen Tableaus serviert, begeisterten die Kunstwerke auf Ausstellungen in Moskau, Wien, Zürich, Havanna, Tokio und anderen Großstädten durch ihre fröhliche, unbekümmerte Extravaganz und farbrhythmische Schönheit. Lomographie wurde bekannt, Lomo wurde beliebt.

Was in Wien als originelle künstlerische Idee begonnen hatte, entwickelte sich in wenigen Jahren zu einer breiten, soziokulturellen Bewegung. Einerseits durch Produkte, die durch Lomo neu oder wieder entdeckt wurden, wie zum Beispiel ungewöhnliche Schnappschuss-Kameras, Foto-Fashion und -accessoirs oder -bücher; andrerseits durch vielfältige kulturelle Aktivitäten, die die Lomographische Gesellschaft regelmäßig durchführt (Ausstellungen, Feste, Shows, Shootings, Reisen, Projekte im Bereich Film, Musik, neue Medien, Wettbewerbe usw.). Heute zählt die überaus rege Community der Lomographen und Lomographinnen weltweit mehr als 500.000 Mitglieder. Zu ihnen gehören ganz normale Durchschnittsbürger, aber auch Promis wie Robert Redford, Laurie Anderson, David Byrne, Helmut Lang, Pulp... Die lomographische Idee - "Be fast, don't think, sei offen gegenüber deiner Umwelt, nimm alles auf, sammle und habe Spaß an der Kommunikation" - hat sich zu einer eigenen Wahrnehmungs- und Kommunikationskultur entwickelt und vielen Menschen tatsächlich die Sinne geöffnet.

Lomo hat aber auch ein kleines Stück Weltgeschichte geschrieben: Der Lomo-Vorrat ging leider ziemlich rasch zu Ende und die jungen Lomographen sahen sich veranlasst, nach Petersburg zum Generaldirektor der Lomo-Werke, Ilja Klebanov, zu reisen und einen Neustart der Kameraproduktion höflichst anzuregen. Doch der General sagte kategorisch: "Njet." Aber die Studenten gaben nicht auf: Wladimir Putin, damals in Petersburg für außerpolitische Angelegenheiten tätig, wurde eingeschaltet - und war von der Idee der Österreicher begeistert! Er drängte Klebanov förmlich, die LomoHerstellung wieder aufzunehmen - und setzte sich durch. Heute ist der ehemalige Chef der Lomo-Werke Minister in Putins Regierung.

Das soziale und visuelle Credo der Lomographie hat die Funktion und Ästhetik der Fotografie in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts stark beeinflusst. Der kreative Ansatz - die wie spielerisch wirkende Kombination von Low- und High-Tech sowie die Verknüpfung mit einem kommerziellen Foto- und Designunternehmen - gibt der lomographischen Idee eine exquisite Note im Zeitalter der grenzenlosen Kommunikation mit Sprache, Text und Bild. Womit man bei den Lomo-Shops angelangt wäre. Die Eröffnung des ersten lomographischen Shops wurde in Wien gestartet. Der zweite Streich folgte im Sommer in Innsbruck: Ein kleines, feines, herrlich verrücktes "SubStructure Studio" (Selly Bibawy, Monica Singer) am Innrain nimmt die lomographischen Inhalte und Produkte konzeptionell auf und spielt sie im wahrsten Sinn des Wortes elegant an die Wand. Denn die aufklappbaren Präsentationselemente stehen mit dem nackten Rücken zum eintretenden Besucher und können vorerst einmal nur über ein Spiegelsystem entdeckt werden. Also - ganz ungeniert herausklappen, was man herausnehmen und genauer betrachten möchte: libanesischen Schmuck aus Gold und Edelsteinen, Designerbrillen (Berryl), moderat-modern oder bizarr entworfen, etliche abgefahrene Klein- Klamotten und natürlich Lomo-Fotoapparate in allen möglichen Preislagen. Und hier - ignorieren zwecklos! - ein schrilles Handtäschchen, komponiert aus Spitzen-BHs für die modemutige Dame neben einem ehrenwerten Einkaufsbeutel, geschnürt aus verwelkten Barchentunterhosen. Der absolute Renner unter den (möglicherweise) unnützen Dingen, die jedoch durchaus witzig und zum Lachen sympathisch sind, dürfte aber die dezente Urinierhilfe namens PissTazia für sportliche Ladys sein, deren detaillierte Gebrauchsanweisung wir uns hier lieber ersparen möchten. Ein drolliges Katzenzelt gibt´s auch und noch mehr charmant-beherzte oder dubios-erotische "SubStructure"-Artikel, die aber durchaus ohne warnend erhobenen Zeigefinger seitens des Publikums auskommen können. "Interaktivität, Spontanität und Spaß standen Pate beim Gestalten dieses zweiten Lomo-Shops", sagt der Innsbrucker Dr. Christof Hochenegg, Welt-Vizepräsident aller Lomos, und stellt schmunzelnd noch in diesem Jahr zwei weitere, ähnlich "verrückte" Trendy- Läden in Paris und Tokio in Aussicht.

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