Luc Bondy und seine Letzten tage

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Bilanz der letzten Festwochen der Ära Bondy: Einmal mehr konnte sich das Programm von Schauspielchefin Stefanie Carp sehen lassen - irrelevant indes die Musikschiene.

Mit dem Ende der heurigen Wiener Festwochen ging auch eine Ära zu Ende. Luc Bondy, der von 1997 bis 2001 als Schauspieldirektor und anschließend als Intendant tätig war, verabschiedete sich nach 16 Jahren von der Bundeshauptstadt. Zeit, ein letztes Mal Bilanz zu ziehen, was gar nicht so leicht ist, weil Bondy als Intendant einer gleichsam "verborgenen“ Tätigkeit nachging. Er war mehr der Ermöglicher im Hintergrund, als der große Macher, der dem Festival seinen Stempel aufdrückte. Sichtbar wurde er in den vergangenen Jahren vor allem als Regisseur. Wollte man also die Ära Bondy einer Bewertung unterziehen, so müsste man vielmehr die Leistung der Direktoren in den Fokus nehmen.

Tatsächlich waren es stets die als Schauspieldirektorinnen engagierten Frauen, die den Wiener Festwochen unter Bondy ihr Profil gaben. Zuerst war das Marie Zimmermann, die von 2001 bis 2004, und dann nochmals 2005 bis 2007 hoch ambitioniert, künstlerisch und ästhetisch innovative Produktionen auch von fernen Kontinenten nach Wien holte. Nach dem tragischen Tod von Marie Zimmermann 2007 trat Stefanie Carp ihre Nachfolge an. Sie setzte den von Zimmermann eingeschlagenen Weg konsequent fort.

Grenzüberschreitungen

Auch heuer bot das Festival wieder ein umfangreiches Programm mit vielen im mehrfachen Wortsinn grenzüberschreitenden Produktionen. Die Schauspielchefin und ihr Team haben nicht weniger als vierzig Produktionen präsentiert - auch heuer wieder ein Mix aus Gastspielen von hierzulande wenig bis gar nicht bekannten Künstlern, riskanten Eigenproduktionen sowie Inszenierungen mit bekannten Namen und Stars, die das von Carp beim Wiener Publikum konstatierte Bedürfnis nach hochkulturellen bzw. elitären Projekten befriedigen sollten.

Es dominierte wie jedes Jahr wieder das Schauspiel, denn das von Stéphane Lissner (seit 2006 gleichzeitig Direktor der Mailänder Scala) verantwortete Musiktheaterprogramm kann man kaum anders als dürftig nennen, nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern - was gerade im Hinblick auf die bescheidene Anzahl an Produktionen umso erstaunlicher ist - auch was die Qualität betrifft. Verdis "Il Trovatore“ in der Inszenierung von Philip Stölzl war ein Desaster, ebenso die von den Festwochen in Auftrag gegebene Oper "Join“ des als Jazzmusiker etablierten Komponisten Franz Koglmann. Auf der Grundlage von Alfred Zeilingers futuristisch angelegtem Konsumkritikdrama entstand eine von simplen Melodien dominierte Nummernrevue, die jeglicher musikalischen Raffinesse entbehrte. Die an Peinlichkeit grenzende Inszenierung von Michael Scheidl, welche die Handlung in einer aus den 1960er Jahren visualisierten Zukunft verortete, bestand aus einer müden Choreografie, bei der an "Star Trek“ erinnernde Figuren Laptops rhythmisch auf- und zuklappten und dem Fortschrittswahn verfallen ein der Wirtschaftssprache entliehenes Fachvokabular vor sich her deklamierten. Der interessante Versuch sich mit dem Musiktheater an ein gegenwärtiges, relevantes Thema heranzuwagen, scheiterte auf allen Ebenen. Einzig die aus Aix-en-Provence eingekaufte Oper "Written on Skin“ (siehe eigenen Artikel rechts unten) mag die dürftige Bilanz aufzuhellen.

Anders die Carp’sche Programmierung. Da war zum einen der die Spartengrenzen überschreitende Dialog mit der bildenden Kunst. Unter dem Titel "Unruhe der Form. Entwürfe des politischen Subjekts“ suchten die Festwochen in einem unübersichtlichen, interdisziplinären Parcours mit Installationen, Performances, Reden etc. quer durch die Stadt die Öffentlichkeit durch Kunst zu politisieren.

Aber auch im engeren Theaterbereich war Carp kuratorisch überaus aktiv: Wie andere Jahre auch schon waren einerseits spannende formale Experimente zu sehen, etwa das Auftragswerk "Cinéastas“ des Argeniniers Mariano Pensotti, der virtuos Realität und Fiktion der Filmwelt zusammenführte. Andererseits brachte sie Produktionen, die über den Fetisch des "Neuen“, Unentdeckten, Experimentellen etc. Theater als Medium der Spiegelung und Verhandlung gesellschaftlich relevanter Fragen verorten. In diesem Sinne konnte, wer wollte, für viele Gastspiele auch in diesem Jahr eine, wenn auch vage, thematische Rahmung erkennen.

Letzte Tage vor 1914

Heuer verband sie die Frage nach der Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft mit der Phase vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. "Letzte Tage“ nannte Christoph Marthaler sein Musik-Theater. Letzte Tage lässt sich vielseitig verstehen, sind sie doch in Anlehnung an Karl Kraus’ (quasi unaufführbares) Weltkriegsdrama als letzte Tage der Menschheit und auch der Menschlichkeit zu lesen. Aber auch als die letzten Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, woran auch die von Martin Kuˇsej zusammengestellten drei Stücke des kroatischen Dramatikers Miroslav Krleˇza anknüpften.

In "In Agonie“ zeigten Krleˇza/Kuˇsej den Zusammenbruch einer Gesellschaft, die sich vom Krieg eine Art Rettung erwartet, um Probleme zu vertuschen, sodann die vollkommene moralische Enthemmung durch die Erfahrungen an der Front, wo der Einzelne kaum Widerstand leisten kann, es sei denn in der Kunst. In der besten Szene des Stückes soll ein Soldat besoffenen Offizieren Rachmaninow vorspielen. Er treibt sein Spiel in die Atonalität, die einzige Möglichkeit, seinen Protest zu artikulieren und sich etwas Menschlichkeit zu bewahren. Im dritten Teil - der in den 1920er Jahren spielt - zeigte Kuˇsej, wie sich der erste industrialisierte Krieg in unseren Alltag eingeschlichen hat und die Traumatisierung die Menschen dem Leben und die Partner einander entfremdet hat.

In Johan Simons’ Inszenierung von "Gift“ trifft sich ein ehemaliges Ehepaar am Grab ihres verstorbenen Sohnes. Der Tod hat ihre Beziehung vergiftet. Während die Trauer das Leben der Frau fest im Griff behält, vermag der "verwaiste“ Vater einen Weg zu finden, mit dem Verlust umzugehen.

Bleibende Vergangenheit

Enttäuschung, die Verstrickung in Schuld, Blindheit für die Bedürfnisse des anderen, eine Vergangenheit, die nicht vergehen will, sind auch Themen in Henrik Ibsens "Wildente“, die der junge australische Regisseur Simon Stone in einer intelligent verknappten, schnellen und viel bejubelten Inszenierung nach Wien gebracht hat. Ein Glaskobel, in dem die Protagonisten wie in einem Versuchslabor agierten, zeigte einerseits die Unausweichlichkeit des Geschehens und verdeutlichte andererseits die Schwierigkeit, den Blick über die eigenen Grenzen nach außen zu wenden.

Auch in Robert Lepages "Playing Cards 1: Spades“, dem ersten Teil einer groß angelegten Tetralogie, geht es um die alle Lebensbereiche dominierenden Themen wie Krieg, Gewalt, Betrug und Glück. Technisch virtuos und die Zuschauer oft verblüffend, erwies sich dieser erste Teil aber mitunter als inhaltlich naiv.

Dass großes Theater auch mit einfachsten Mitteln herzustellen ist, zeigte das Blind Summit Theatre aus London mit "The Table“. Drei Spieler bewegten eine aus Karton, Holz und einem Stoffsack gefertigte Puppe so virtuos, dass man vergaß eine Puppe zu sehen, und erzählten Geschichten, die das Leben bedeuten. Allein für diese kleine Produktion großen Dank!

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