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Nicht Sehnsucht nach Religion, sondern nach Aufrichtigkeit stellt Adolf Holl heute fest.

Adolf Holl * 1930

Ketzer

Im Zusammenhang mit dem Namen Adolf Holl kann man in Buchrezensionen Begriffe lesen wie "provozierend, irritierend", "lästerlich, verletzend", von einem "federfuchsenden Harlekin" ist da ebenso die Rede wie von "intellektueller Lausbüberei". Und dann sitzt man diesem heute 75-jährigen Mann mit seinem schmalen Intellektuellenschädel gegenüber und fragt in das offene Gesicht hinein: "Sind Sie provokant?" Ein durchaus spitzbübisches Lächeln umspielt die Lippen: "Ich bin an sich ein friedfertiger Mensch, grüße den Briefträger und zahle pünktlich meine Steuern. Das einzige, das in mir Unruhe schafft, ist Lüge. Um das in den kirchlichen Zusammenhang zu bringen: Ich habe dort die Unschuld gesucht und sehr viel Verlogenheit gefunden, und zwar nicht allein im moralischen Sinn - das kann man ja beichten -, sondern im Sinne von struktureller Lüge."

Der Hokuspokus-Mann

Dieser Mann hat von Kindheit an davon geträumt, Priester zu werden, was er mit den Worten quittiert: "Vielleicht hab ich einfach nur zaubern wollen." Auf einen fragenden Blick kommt sehr schnell ein ziemlich traditionelles Priesterbild ins Zentrum: Die Wandlung stehe in der Mitte, samt den fünf Gebeten davor und danach, die zum Großteil nur noch Geschichte sind. Beschwörungsformeln, die im alten Ägypten wurzelten, das Magische des Rituals und dann die Gestalt des Priesters als Opferer, dem durch seine Weihe die Kraft der Wandlung, der Verwandlung von Brot und Wein, gegeben sei, hört man etwas verwundert. "Christus, dieser Mensch, der sich dahingegeben hat, um die Distanz zwischen Gott und Mensch und auch zwischen den Menschen durch das gemeinsame Mahl aufzuheben, dieser ist unvergessen bis heute, und das ist für mich das Zentrum des Christlichen, das nicht mehr aus dieser Welt verschwinden wird" -, doziert der Herr Dozent sehr jovial, aber auch sehr ernsthaft. Das ist, so scheint es mir in diesem nachmittäglichen Gespräch in seinem Dichterstübchen, wirklich die Mitte, aus der er lebt.

Trotzdem leidet Adolf Holl, wie er ganz offen zugibt, auch heute noch an Entzugserscheinungen. Er liebte es, am Altar zu stehen, die Wandlungsworte zu sprechen und sicher zu sein, dass es da einmal einen, einen Einzigen gegeben hat, der sich den Menschen als Speise und Trank angeboten hat, um sie zu verwandeln. Er liebte es, seine Arme auszubreiten, seine Hände zu heben um zu segnen, die Entrückungsmöglichkeit aus dem Alltag zu spüren, empfindet sich aber auch als zutiefst gespalten, was er so ausdrückt: "Einerseits vermisse ich das alles bis heute schmerzlich und bin gleichzeitig froh, dass ich etwas verlassen habe, das mich auf die Dauer geschädigt hätte. Und dieses seelische Durcheinander, so sagt man, sei die Quelle meiner so genannten Kreativität für das Schreiben."

Vom Ketzer zum Kult-Autor

Ich muss zugeben, ich wundere mich über die spontane Offenheit meines Gegenüber in seinem Rollkragenpullover, der offensichtlich entspannt in einem schwarzen Ledersessel sitzt, um nicht zu sagen lümmelt, um ebenso ernsthaft wie locker über doch sehr heikle Fragen zu reden. Meine Frage, wie er sich erklärt, dass er vom angeblich polarisierenden Ketzer zu etwas wie einem Kult-Autor geworden ist.

"Ich bin erstaunt und kann es mir auch nicht erklären, obwohl es meiner zugegebenen Eitelkeit natürlich schmeichelt. Ich bin in den Jahrzehnten seit meiner Entfernung aus Amt und Würden weder von der Obrigkeit noch von der Öffentlichkeit sehr verwöhnt worden. Und jetzt mag man mich plötzlich. Das hab ich nicht erwartet. Nach 30 Jahren werden einige meiner Bücher neu aufgelegt. Schau, schau. Aber vielleicht hat es auch einfach mit der Tatsache zu tun, dass in dieser Informationsgesellschaft unheimlich viel gelogen wird, dass die Menschen von den diversen Bildschirmen Dinge geliefert bekommen, die sich dann als Mogelpackung herausstellen. Ich glaube nicht sosehr an eine neue Sehnsucht nach dem Religiösen oder nach Religion, sondern einfach an eine Sehnsucht nach Aufrichtigkeit Die Menschen sind auf der Suche nach brauchbaren Inhalten, die ihre innere Leere füllen können. - Wenn meine Bücher mit ihren Inhalten, ihren Fragen, ihrer Rückbindung an Bewährtes aus früheren Perioden der Geschichte, dabei mithelfen können, dann schreib ich halt weiter."

Und da ist er auch schon wieder dran mit einem kleinen Buch, wie er sagt, für das er einmal für sich den Titel "Beten ohne Nebenerscheinungen" gefunden hat.

Die Autorin, langjährige Radiomacherin, begann ihre journalistische Karriere 1954 bei der Furche, für die sie bis heute schreibt.

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