Lust und Leichen pflastern ihren Weg

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Eine, die in der Männerwelt nichts darstellt als Verführung, hebelt die Gesetze der Gesellschaft aus: Frank Wedekinds "Lulu" bei den Salzburger Festspielen, inszeniert von der amerikanisch-griechischen Regisseurin Athina Rachel Tsangari, hält starke Momente bereit.

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Eine, die in der Männerwelt nichts darstellt als Verführung, hebelt die Gesetze der Gesellschaft aus: Frank Wedekinds "Lulu" bei den Salzburger Festspielen, inszeniert von der amerikanisch-griechischen Regisseurin Athina Rachel Tsangari, hält starke Momente bereit.

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Etwas Verpupptes kriecht über die Bühne, schwerfällig und umständlich, bis sich drei Gestalten aus dem Schutzmantel herausschälen, Menschen sogar. Die dreifache Lulu ist geboren, und schon wissen wir, diese Wesen, die synchron sprechen und agieren, sind kein Ergebnis von Erziehung und Gesellschaft, sie stellen die reine Natur dar. Oder, ausgemacht ist gar nichts, vielleicht sind sie auch nur Ausformungen der Fantasie von Männern, die sowieso Probleme haben, Frauen gelten zu lassen, wie sie sind, und deshalb anfällig sind, Zurichtungsprogramme anzuwenden. Sie müssen diese fremden, eigensinnigen Gestalten auf Distanz halten, um die eigene Verletzungsgefahr gering zu halten. Vergebens, wie man im Drama "Lulu" sieht, wie es die Regisseurin Athina Rachel Tsangari bei den Salzburger Festspielen auffasst. Von Lulu geht eine Gefahr aus, die Männer, die sich in ihre Nähe wagen, selbst gefährlich werden lässt, um sich vor ihr zu schützen. Halten die Männer Lulu auf Abstand, gelingt es ihnen, sie schlecht genug kennenzulernen, um sie mit eigenen Einbildungen auszustaffieren.

Die Spaltung von Lulu in drei Persönlichkeiten ist einleuchtend: Jeder Mensch lebt mehr als nur ein einziges Leben, nicht nur sein eigenes, auch die anderen machen sich ein Bild, das jedoch nicht zusammengeht mit dem, was einer von sich selbst hat. So viele Vorstellungen, mit denen eine Biografie umstellt wird, und nirgends ein Hauch von Wahrheit, von Wahrscheinlichkeit daher umso mehr.

Geliebt, gefürchtet, gehasst

Geliebt, gefürchtet, gehasst, so sieht der Dreischritt der Verunglimpfung aus, der zum Untergang führt. Der Blutzoll ist hoch. Wer sich mit Lulu einlässt, kommt um im Feuer einer Unbändigen, die die Grenzüberschreitung zu ihrer eigenen Sache gemacht hat. Tsangari weicht der Falle aus, Lulu auf eine Rolle festzulegen. Frank Wedekind interpretiert ja schon wenig, lässt offen, um welches Phänomen es sich bei der jungen Frau handelt, die einerseits so selbstbewusst ist, dass sie in rasender Eile Männer austauscht und andererseits derart in Abhängigkeit gehalten wird, dass ihr die Luft zum Atmen wegbleibt. Sie lebt rasch und stirbt früh, das ist das Jimi-Hendrix-Janis-Joplin-Gesetz, das in jeder Zeit ihre Gültigkeit hat und all jenen Recht gibt, die vor Exzessen als Raubbau am Menschen warnen.

Davon hält Tsangari nicht viel, ihr leuchtet ein, dass eine aus der Reihe tanzt und das eigene Leben als Preis für das radikale Ich-Sein aufs Spiel setzt. Das ist schon daran zu erkennen, dass all die Männer, die für bürgerliche Beständigkeit stehen, als peinliche Charaktere gebrandmarkt werden.

Seit dem katastrophalen Horváth-Missverständnis, dem ein amerikanisches Regie-Duo bei "Kasimir und Karoline" aufsaß, ist es nicht selbstverständlich, dass die Auseinandersetzung mit einem Text zur Voraussetzung gehört. Athina Rachel Tsangari aber hat sich intensiv auf "Lulu" eingelassen und sich nicht einschüchtern lassen von den zahlreichen Vorgaben, die das Stück schon etliche Deutungen hat überstehen lassen. Wenn sie die Titelfigur dreifach auftreten lässt, verstärkt sie deren Wirkung, bekommen drei automatisch ein Übergewicht über die anderen, die dagegen kein Rezept haben. Lulu, ein Naturereignis, gegen welches kein rationales Konzept gewachsen ist. Es geht um Emotionen und wie sie die Vernunft ausschalten. Eine, die in der Welt der Männer eigentlich nichts darstellt als die leibhaftige Verführung, hebelt die Gesetze der Gesellschaft locker aus -und nichts ist mehr, wie es jemals zuvor war.

Das Thema Macht, Schwerpunkt der diesjährigen Salzburger Festspiele, bekommt einen neuen Akzent. Die Macht der Gefühle sorgt für eine Durchmischung klassischer Abhängigkeitsverhältnisse. Die junge Frau, für die gerade noch vorgesehen war, dass über sie verfügt werden darf, wird zur Spielerin, die den Stützen der Gesellschaft beibringt, was es heißt zu leiden, sich zu verzehren, einem Traum von Unerfüllbarkeit nachzuhängen. Dass Tsangari das herunterkühlt auf Frostniveau, ist klug durchdacht - "Lulu" ist kein Stück zum Mitleiden, das die Empathie befördert. Die Gefühlslandschaft wird zur Eiswüste, kaum bewohnbar für einen durchschnittlichen Erdenbewohner.

Großartige Bühnengestaltung

Großartig die Bühnengestaltung von Florian Lösche: Von oben dringen dunkle Ballone in den Raum, verdrängen, wenn es sein muss, den Platz für die Schauspieler. Sein muss das dann, wenn auf die Kugeln Projektionen geworfen werden, sodass sich die Bühne in eine gewaltige Installation verwandelt. Riesenhaft blinzeln einem Augen entgegen, damit ist sichergestellt, dass es mit der Behaglichkeit vorbei ist.

Die Darsteller leisten Beachtliches. Anna Drexler, Isolda Dychaux und Ariane Labed ergeben eine spritzige dreieinige Lulu, und dass von Leuten wie Rainer Bock oder Fritzi Haberlandt starke Momente zu erwarten sind, ist sowieso klar.

Lulu Perner Insel Hallein, 25., 27., 28. August

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