Luxuriöse Dame mit Vergangenheit

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Ist die Oper hohle Repräsentationskunst des Großbürgertums und ihr Verschwinden nur eine Frage der Zeit, wie manche in den sechziger Jahren unkten? Mitnichten: Niemand mehr spricht der Oper die Existenzberechtigung ab, im Gegenteil: Avantgardisten aller Art - Komponisten ebenso wie Regisseure - tummeln sich zuhauf in der einst totgesagten Kunstgattung. Ist das vielgeschmähte Regietheater der Totengräber für die ehrwürdige Institution Oper? Keineswegs: Selbst an der Wiener Staatsoper, angeblich einer der letzten Horte der Tradition, trägt jede Neuinszenierung mehr oder weniger deutlich die Handschrift des Regisseurs. Und wenn einmal wirklich Inszenierungen zu sehen sind, die so wirken als hätten sie 200 Jahre am Buckel, dann bemäkeln dies selbst jene Kritiker, die als konservativ bekannt sind. Das liebenswert-fossile Gastspiel der Warschauer Kammeroper vorigen Sommer im Theater an der Wien bekam dies gnadenlos zu spüren.

Die zentralen Fragen, die eine Kunstgattung bewegen, verändern sich im Laufe der Zeit. Nur mehr eingefleischte Traditionalisten lehnen das Regietheater noch in Bausch und Bogen ab; das Premierenpublikum, vor allem das Wiener, buht so gut wie jede Aufführung aus, manche Kritiker beweinen, daß "alles, was man liebt, vorsätzlich kaputt gemacht wird." ("Die Presse"). Doch der Großteil des Publikums weiß das derzeitige Opernangebot in Österreich sehr wohl zu schätzen. Der hervorragende "Belisario" (Gaetano Donizetti) an der Grazer Oper wurde von Teilen des Premierenpublikums wütend ausgebuht, war aber bis zur letzten Aufführung fast ausverkauft. Dominique Mentha, der am Tiroler Landestheater in Innsbruck mit einer interessanten Interpretation von "Hoffmanns Erzählungen" für einen lokalen Skandal sorgte, wird mittlerweile von einem großen Teil des Publikums durchaus geschätzt und sogar von Politikern mit Lob bedacht, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit seine Ablöse forderten. Auch Wagners "Rienzi" wurde vom Premierenpublikum der Wiener Staatsoper und von den Tageszeitungskritikern abgelehnt. Mittlerweile wird von der großartigen Aufführung allerorts nur noch in den höchsten Tönen gesprochen.

Gegenwärtig stehen andere Streitpunkte zur Diskussion, deren (ungewisser) Ausgang auf die Welt der Oper einen nicht zu unterschätzenden Einfluß haben wird: Zum Beispiel ist es derzeit in Mode, Gedenktage zu ignorieren. Die Wiener Festwochen beharren auf der Nichtbeachtung des 50. Todestages von Franz Lehar und die Salzburger Festspiele werden 1999, dem 50. Todesjahr von Richard Strauss, ohne ein Stück des Festspiele-Mitbegründers über die Bühne gehen. Warum solle man, bloß wegen eines runden Geburtstages oder eines Todestages, einem Künstler besondere Aufmerksamkeit schenken, heißt es. Warum nicht, könnte die Gegenfrage lauten.

Die heißest diskutierte Frage derzeit ist jedoch: Ist das Repertoiretheater obsolet und wird nur noch dem Stagione-Prinzip gehuldigt? Ist es legitim, ein- und diesselbe Inszenierung über Jahre hinweg immer wieder auf den Spielplan zu setzen oder soll eine Inszenierung nur eine Saison lang, oder sogar nur zwei, drei Monate laufen? Die Gegner des Repertoirebetriebes befürchten nicht zu Unrecht, daß das von Regisseur mit einem bestimmten Ensemble erarbeitete Regiekonzept verwässert wird, sobald - was nach Jahren zwangsläufig passiert - andere Sänger in die Rollen schlüpfen. Befürworter verweisen unter anderem auf die geringeren Kosten und das breitere Angebot eines Repertoiretheaters. "Ich verweigere das Postulat, daß eine Inszenierung umso schlechter ist, je älter sie ist", verteidigt Staatsoperndirektor Ioan Holender sein Haus, in dem zum Beispiel noch immer eine "Tosca"-Inszenierung aus dem Jahr 1958 am Programm steht. (Siehe Interview auf Seite 15). Auf die Staatsoper haben sich die Gegner des Repertoire-Betriebs besonders eingeschossen: Jene harsche Kritik, die - just als Holenders Vertragsverlängerung zur Debatte stand - von "profil" lanciert wurde, ist sicherlich in diesem Licht zu sehen.

Wahrscheinlich endet dieser - auch international ausgetragene - Konflikt so, wie die Diskussionen vergangener Jahrzehnte: Jede der streitenden Schulen bekommt ihre Spielwiese. Viele Häuser werden Produktionen nur noch für eine Saison anlegen und vielleicht anderorts wiederaufnehmen. Große Traditionsbühnen wie die Wiener Staatsoper werden weiter ihr altbewährtes Repertoire pflegen und nur wenige Neuinszenierungen herausbringen. Vielfalt tut schließlich immer gut und in Österreich gibt ja noch andere Bühnen von Rang als nur die Staatsoper. Warum soll das Haus am Ring seinen (teilweise) musealen Charakter nicht beibehalten? Das Museale hat Charme und ist für ein Land wie Österreich, das viel von seiner kulturellen Vergangenheit zehrt, geradezu ein Wesensmerkmal.

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