Luxus, Liebe, Leidenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Hans Werner Henzes Oper "Boulevard Solitude" in einer gelungenen Aufführung in Graz.

Nicht umsonst avancierte der 1731 erschienene Roman des Antoine-François Prévost Die Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut zu einer der beliebtesten Libretto-Vorlagen. Tragisch endet die leidenschaftliche Liebe des unerfahrenen Studenten Armand und der lebenslustigen, vom Luxus unwiderstehlich angezogenen, zwischen Treue und Leichtfertigkeit schwankenden Manon. War bei Prévost die fatale Opposition von Gefühl und Verstand, Tugend und Leidenschaft ein Novum, das in Rousseaus Philosophie und der empfindsamen Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Fortsetzung erfuhr, wurde die Abenteuergeschichte auf der Opernbühne unterschiedlich akzentuiert. Aubers Opéra comique (Text: Eugène Scribe) war 1856 das erste für die Heldin tragisch endende Stück dieses Genres. Jules Massenet befreite die Geschichte 1884 von allen sozialkritischen Zügen. Zehn Jahre später feierte Giacomo Puccini mit Manon Lescaut an der Scala seinen größten Erfolg bei Publikum und Kritik.

Mit sicherem Bühneninstinkt griff auch der damals 26-jährige Hans Werner Henze 1950 für seine erste abendfüllende Oper Boulevard Solitude auf die Erfolgsstory zurück. Seine Librettistin Grete Weil verlieh Manon verstärkt die Züge der unberechenbaren Femme fatale, des kindlich monströsen Geschöpfs, dessen Prototyp Wedekinds Lulu verkörpert. Vermehrte Beachtung erfuhr Armand. Er ist bei Henze die zentrale Figur, die den vereinsamten Außenseiter in einer kalten, berechnenden Welt verkörpert. Henzes bühnenwirksame Musik, die einnehmende Lyrik rhythmisch packenden, dramatischen Passagen entgegensetzt, sicherte dem Werk einen bleibenden Erfolg, der sich auch in der aktuellen Grazer Produktion fortsetzt.

In der gelungenen, soliden, mitunter auch humorvollen Inszenierung G. H. Seebachs greifen Traum und Realität ineinander. Die sieben in kühlem weißgetünchtem Ambiente angesiedelten Bilder führen von einer Bahnhofshalle über eine Mansarde, die Universität und einen Nachtclub in eine Luxuswohnung im 14. Pariser Arrondissement. Die Handlung wird im Rückblick aus der Perspektive Armands erzählt. Wie Traumbilder erscheinen ihm die zunehmend ins Irreale abgleitenden Begegnungen mit der Geliebten. Projektionen des ersten Bildes aus dem Zyklus Forces (2003) der in New York lebenden Fotokünstlerin Sonja Braas betonen die Atmosphäre der Kälte und Heimatlosigkeit.

Eine Glanzleistung die musikalische Realisation des Werkes, das den Ausführenden durchwegs Höchstleistungen abverlangt. Glasklar, sensibel und klangschön gab Margareta KlobuÇcar eine kühle und doch auch liebende Manon. Scheinbar mühelos gestaltet sie die anspruchsvolle Partie. Herausragend auch Andries Cloete als hingebungsvoll liebender, schließlich am Leben verzweifelnder, drogensüchtiger Armand. Tadellos auch David McShane als Bösewicht Lescaut, Alexander Puhrer (Francis), Manuel von Senden (Lilaque le père) und Wilfried Zelinka (Lilaque le fils). Hervorragend musizierte das Grazer Philharmonische Orchester. Mit äußerster Präzision, sich steigernder Dramatik und gekonnter dynamischer Feinabstimmung gelang unter Johannes Stert eine beeindruckend kurzweilige, packende Aufführung des sehenswerten Stücks.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung