Václav Havel spricht auf dem Wenzelsplatz zum Volk  - © Foto: Getty Images / Sovfoto / UIG

Václav Havel, Dissident: Macht des Wortes

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Notizen eines Wegbegleiters.

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Notizen eines Wegbegleiters.

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Als vor 37 Jahren Václav Havel der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen wurde, ahnte wohl niemand, welche Bedeutung dieser Mann für sein Land, aber auch für Europa und die ganze Welt noch haben würde. Es hat mich immer ganz besonders gefreut, dass einer der ersten bedeutenden Preise, die Havel erhielt, aus Österreich kam, aber auch, dass das Wiener Burgtheater in jenen Zeiten, da Havel vom Regime gefangen gehalten und verfolgt wurde, es sich zur besonderen Aufgabe gemacht hatte, sein Werk der Welt vorzustellen. Es entspricht der Berufung der ersten Staatsbühne, hier die Wesentlichkeit der Kultur für die Politik, aber auch die der Politik für die Kultur erkannt zu haben, ohne den oft billigen Versuchungen der Kulturpolitik zu erliegen.

Dramaturg des Widerstands

Um Václav Havel zu verstehen, muss man immer vor Augen haben, dass er aus dem Theater hervorgegangen ist und dass ihm die Mächtigkeit des Wortes, aber auch die Wichtigkeit von dessen Darstellung stets bewusst war. Obwohl er durch Jahrzehnte ein politisch tätiger Mensch war und das höchste politische Amt erreichte und lange Jahre ausübte, wollte er ursprünglich nie Politiker werden. Es war ja das totalitäre System, oder besser gesagt, der Widerstand gegen dieses, der ihn allmählich zur Politik gezwungen hat. Den Widerstand allerdings hat er als Bürgerpflicht verstanden. Seine Erfahrung und sein Können aus seiner künstlerischen Tätigkeit haben dazu beigetragen, dass er relativ bald die wesentliche Gestalt des demokratischen Widerstands in der Tschechoslowakei wurde. Sein Wissen, wann und wie etwas zu sagen ist, die Fähigkeit, sehr verschiedene und anfangs auch einander misstrauende Menschen zu einem Team zusammenzuführen, und oft auch die Inszenierung eines politischen Ereignisses waren dafür von entscheidender Bedeutung.

Sicherlich hat auch das Elternhaus zur Prägung der beiden Havel-Brüder wesentlich beigetragen. Sowohl die Havels als auch die VavreÇckas gehörten seit Generationen zum hochkultivierten Prager Bürgertum, die bereits in der Monarchie und dann in der Ersten Republik eine bedeutende Stellung in der tschechischen Nation einnahmen. Havels Vater und insbesondere sein Onkel waren ja die Gründer der tschechoslowakischen Filmindustrie, und sein Großvater mütterlicherseits war nicht nur bedeutender tschechoslowakischer Diplomat, sondern auch Direktor im Bata-Konzern. Dieser kulturelle Hintergrund und die Weltoffenheit, die damit verbunden war, gaben Václav Havel die unbefangene Sicherheit im Auftreten, die bei aller persönlichen Scheu und Bescheidenheit seine Partner, denen er später auf der Weltbühne begegnet ist, zutiefst beeindruckt hat.

Die Jahre der Haft, aber auch die Tatsache, dass es gerade die härtesten Jahre des kommunistischen Regimes nach dem Februar 1948 waren, in denen er erwachsen wurde, vom Kind zum Manne reifte, haben ihn zu einem Menschen werden lassen, der nie die Freude am Spiel verloren hat - aber sie schärften früh sein Auge für das Wesentliche, das Ernste und Tragische im Leben. Sicherlich gab es viele Zeitgenossen, denen ein noch viel härteres Schicksal beschieden war, aber es gab wenige, die das, was sie erlebten, auch verarbeiten konnten und in eine einprägsame Form zu gießen vermochten - und dabei nie das Ziel, den Kampf gegen die Unterdrückung, aus den Augen verloren.

Gefängnisbriefe

Allein zwei Ereignisse der letzten Zeit zeugen von dieser seltenen Gabe: Als der irakische Präsident Jalal Talabani seinen ersten Besuch in Europa machte, war seine erste Station Prag und nicht eine der Hauptstädte der großen europäischen Länder. Es war Václav Havel, der vor 15 Jahren als erstes Staatsoberhaupt den damals noch von vielen mit Misstrauen betrachteten kurdischen Politiker und Widerstandskämpfer empfing. Der ehemalige stellvertretende malaysische Ministerpräsident Anwar Brahim berichtete, welche große Hilfe ihm in der Zeit seiner demütigenden Haft Havels "Briefe an Olga" aus dem Gefängnis waren.

So wie er als Dramatiker manchmal mit Verwunderung, Erstaunen und Lächeln verfolgt, was aus seinen Stücken auf den jeweiligen Bühnen geworden ist, so beobachtet Václav Havel heute mit seinem scheuen Lächeln die erstaunliche Wirkung, die seine Person und seine Worte heute noch in der Welt auslösen.

Der Autor ist Mitglied des tschechischen Senats und war von 1990 bis 1993 Kanzler des tschechischen Präsidenten Václav Havel.

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