"Macht" - zweideutig verwendet
Können Schafe und Hirten Geschwister werden? Um die Macht in der Kirche geht es im zweiten Herdenbrief der Plattform "Wir sind Kirche".
Können Schafe und Hirten Geschwister werden? Um die Macht in der Kirche geht es im zweiten Herdenbrief der Plattform "Wir sind Kirche".
In zweifacher Hinsicht spiegelt der Titel des zweiten Herdenbriefes die Anliegen des Kirchenvolksbegehrens: "Macht Kirche" kann sowohl als Aufforderung gelesen werden, nicht auszuziehen, sondern Kirche zu gestalten, aber auch als Hinweis auf die Probleme um Mitsprache und Demokratie in der Kirche. Bereits zum zweiten Mal meldet sich die "Herde" zu Wort, um - so Kirchenvolksbegehrer Thomas Plankensteiner - "nicht nur Forderungen an andere zu stellen, sondern auch eigene Beiträge zu liefern" und damit den "Dialog für Österreich" zu unterstützen.
"Wenn Schafe und Hirten Geschwister werden" lautet die Kirchenvision im Untertitel des Herdenbriefes. Schließlich sei Geschwisterlichkeit "eine Überlebensfrage unserer Kirche", meint der Grazer Religionspädagoge Anton Schrettle. Die Diskussion lediglich auf die Zulassungskriterien zu kirchlichen Ämtern zu beschränken, sei aber eine Verkürzung. Denn entscheidend sei nicht die Frage "Amt - ja oder nein?", denn auch eine geschwisterliche Kirche brauche Ämter, sondern die Frage: "Wie müssen Ämter ausgeübt werden? Wie sind sie von ihrer Konzeption, von der Heiligen Schrift her zu verstehen?"
Die Auseinandersetzung mit der Machtfrage geschieht im Herdenbrief mit einer großen Vielfalt der Ansätze, wie die ehemalige Präsidentin der Katholischen Aktion, Eva Petrik betont. Damit sei das Buch "katholisch im wahrsten Sinn des Wortes". Neben einem Brief vom Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher - "einem Bischofswort aus der Herde heraus" - und Stimmen von Experten stehen auch "mehr oder weniger hanebüchene Beiträge" und Gedichte, deren Versmaß nicht stimme, die dem Buch aber sehr viel "Lebensechtheit" verleihen, resümiert der Psychotherapeut und Theologe Richard Picker.
In vielen Beiträgen kommt die Art, wie innerhalb der Kirche Macht ausgeübt wird, nicht gut weg. Doch sei die Kritik am "Ist-Zustand" der Kirche "an keiner Stelle destruktiv, sondern in kritischer Solidarität" geäußert, betont Eva Petrik.
In diesem Sinne wurden vor zehn Tagen die Herdenbriefe auch an sämtliche Österreichischen Bischöfe verschickt. Reagiert darauf hat vorläufig nur der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn, der in einem Brief an die Plattform "Wir sind Kirche" davon sprach, daß der zweite Herdenbrief "zu tiefer Sorge Anlaß" gebe, weil in ihm die übernatürliche Sicht der Kirche kaum zum Tragen käme. Eine Kritik, die Petrik nicht fair erscheint, sei doch gerade diese Sicht der Kirche "vielleicht nicht in jedem einzelnen Beitrag, aber in der Gesamtheit sehr deutlich geworden."\r Macht Kirche. Wenn Schafe und Hirten Geschwister werden.
Plattform "Wir sind Kirche" (Hrsg.)Thaur, Thaur Verlag 1998351 Seiten, öS 228,
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