"Machtmißbrauch und Regelzwang"

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Statement zur Reformierung der Orthographie.

Vor gut zehn Jahren durfte ich mich anhand von Kostproben aus der Sammlung der Reformvorschläge im orf äußern, als ein Schriftsteller und erfahrener Deutschlehrer.

Auf einen Blick (einander gegenübergesetzt waren Rubriken bis jetzt / ab nun) war zu ersehen, daß da keineswegs eine Liberalisierung in dem Sinn vorgesehen war, von nun an dürfe es in den umstrittenen Fällen beispielsweise der Groß- oder Kleinschreibung ein jeder à son gout halten ...

Aufreizend also, daß da als Alteingebürgertes' hingenommene Regeln einem autokratisch verfügten, reichlich pedantischen und auch logisch inkonsequenten Regelzwang weichen sollen. Mein Beispiel für Machtmißbrauch, der endlich dahin sein sollte, nun aber durch die Machthaber über Richtig oder Falsch unterstützt wird, war das: da sitze ich mit drei Deutschlehrern im sogenannten Lehrerkammerl, wohlwissend, worauf ihre Beratungen hinauslaufen: sobald sie sich nach Befragung des Österreichischen Wörterbuchs und des Duden zu einer gemeinsamen Auffassung durchgerungen haben, streicht einer ihnen eben noch fraglich Gewesenes in einem Schularbeitsheft als einen schweren Fehler an!

Daß wir unsere Gams, in norddeutschen Wäldern zur Gemse geworden, als eine Gämse zurückgeschickt bekommen, na mein Gott na. Und wenn die Provenienz mancher Wörter so wichtig genommen wird wie in ns-Tagen unsere Ahnenreihe, na dann schnäuz ich mich halt, so fern das auch, der Logik gemäß, meine arischen Großältern tun ...

Widerwärtig war mir damals schon, und dafür habe ich Beispiele aus den Reformvorschlägen zitiert, die an faschistische Ausgrenzung gemahnende Teilung der Gesellschaft in Studierte und Nichtstudierte: die plebs misera hat Fotografie zu schreiben, für die Elite bleibt es bei Photogrammetrie, Photosynthese, oder wollen wir Philosophen uns mit euch Analfabeten gemein machen?

Und gleich widerwärtig die brutale Germanisierung von französischen Wörtern, die wohl denen behagt hätte, die zur Zeit des Ersten Weltkrieges mit auch idiotischen deutschen Ersatzwörtern dem Franzmann und dem Briten noch und noch Niederlagen zugefügt haben: diejenigen erniedrigen uns, die uns eine französisch korrekte Schreibung nicht mehr zumuten oder nicht mehr zutrauen ...

Der Text ist das Statement des Autors für die Diskussion der Wiener Schule für Dichtung über die Orthographiereform, die am 29. Juli stattfand.

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