Märtyrer sterben nicht aus

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Marlene Dumas und Marijke van Warmerdam greifen in der Wiener BAWAG-Foundation ein altes Thema von Kunst und Religion auf.

Hin und wieder drängen die Umstände das Individuum zur Flucht. So geschehen 1606, als Caravaggio auf der Flucht aus dem maltesischen Gefängnis in Syrakus Unterschlupf fand und in die Arbeit an einem Bildnis der Stadtheiligen Lucia floh. Lucia verschenkte gemeinsam mit ihrer Mutter ihr Vermögen an die Armen und wies obendrein ihren Verlobten zurück, der sie daraufhin den Schergen der diokletianischen Christenverfolgung auslieferte. Man wollte sie der Legende nach ins Dirnenhaus bringen, aber weder ein Ochsengespann noch "tausend Männer" waren imstande, die Gefesselte von der Stelle zu bewegen. Da stieß man ihr ein Schwert durch die Kehle, aber sie starb erst, nachdem ihr ein Priester die Hostie reichte. In einer anderen Version reißt sie sich noch die Augen aus, um sie ihrem ehemaligen Verlobten auf einem Silberteller überbringen zu lassen. Dass Lucia, die Lichtträgerin, auf diese Weise ihr irdisches Augenlicht verliert, wiegt Caravaggio, der Meister der raffinierten Lichtführung, durch einen himmlischen Lichtstrahl auf.

Seit Lucias Martyrium sind 1700 und seit Caravaggios Fertigstellung des Gemäldes 398 Jahre vergangen. Aus diesem geschichtlichen Abstand erkunden Marlene Dumas und Marijke van Warmerdam Spuren und Transformationen der damaligen Geschehnisse. Dumas nimmt in einer triptychonartigen Gemäldereihe als Eröffnung Lucias Kopf von Caravaggios Bild und übersetzt ihn in ihre malerische Sprache. Die fahle Haut und der geöffnete Mund zeigen die Drastik des Todes, die Verklärung will sich vor dem jüngsten Tag noch nicht einstellen. Daneben aktualisiert Dumas mit zwei weiteren Köpfen von getöteten Frauen das Opfer der Lucia. In der Mitte übernimmt sie ein Foto aus der Zeitschrift stern von Ulrike Meinhof nach ihrem Selbstmord, rechts das Antlitz einer jungen Frau aus Tschetschenien. Allerdings liegen die Frauen aus dem 20. Jahrhundert in umgekehrter Richtung, ein kleiner, vielleicht zu kleiner Hinweis darauf, dass den Märtyrern des 20. Jahrhunderts nicht mehr so leicht ein göttlicher Zuspruch unterstellt werden kann. Dagegen überzeugt Dumas' allgemeiner Hinweis auf Leid und Tod, wenn sie etwa einen aus Saddam Husseins "Irrenanstalten" Befreiten als "Propheten" bezeichnet oder den "Missionar" mausetot vorstellt und dabei auf eine Tradition von Holbein bis Kollwitz und Taylor Wood zurückgreift.

Van Warmerdam bezieht sich explizit auf Caravaggio, wenn aus einer herrlichen Wolkenformation ein goldener Schriftzug mit dem Namen Lucia nach untern weist. Wie ein Anruf von oben klingt die Verlängerung zu Luciaaaaa und spielt gleichzeitig mit dem Aufschrei von jemandem, der aus dem Himmel fällt, wie etwa Luzifer. Alles bleibt in Schwebe, auch wenn der Himmel übermächtig über der Szenerie thront. Das Umkehrbild dazu, als Suchbild in der Ausstellung weit entfernt gehängt, zeigt am rechten Rand ein stark angeschnittenes Gesicht, aus dem Mund ragt eine Getreideähre kraftvoll in den idyllisch blauen Himmel. Auch van Warmerdam spielt mit der Triptychonform, auf drei Fotografien hält sie Magnolienblüten fest, die sie ausschnittweise mit einer weißen Fläche hinterlegt. Durch dieses Bild im Bild illustriert sie unser Wahrnehmungsverhalten - rein optisch oder auch inhaltlich. Ein anderes Mal bringt sie das Hin und Her, das Vor und Zurück der Situation in der Endlosschleife eines Films - paradoxerweise - auf den Punkt. Auf weißer Fläche wird ein schwarzes Quadrat immer größer, bis es sich zur Grundfläche entwickelt hat, auf der ein weißes Quadrat immer größer wird, bis es sich zur Grundfläche entwickelt hat, auf der ein schwarzes Quadrat... Die Märtyrer jedenfalls sind dennoch nicht ausgestorben - hin und wieder.

Marlene Dumas, Marijke van

Warmerdam: Hin und Wieder

Bawag Foundation, Tuchlauben 7a, 1010 Wien.

Bis 6. 11. Mo-Sa 10-18 Uhr

26. 10. und 1. 11. geschlossen.

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