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Sibiu/Hermannstadt gönnt sich eine Frischzellenkur. Schließlich will man 2007 topfit in der Auslage stehen - als Kulturhaupstadt Europas und Treffpunkt der dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung.

Die Leute drängen sich, feilschen um gut erhaltene Schuhe und parken ihre angerosteten Dacias Stoßstange an Stoßstange am Straßenrand. Es ist Sonntag Vormittag in Sibiu - Flohmarkt. Ein guter Zeitpunkt für Schnäppchen. Doch ein schlechter, wenn es nach Dorin Oancea geht. Während draußen am Rand der 170.000 Einwohner-Stadt im rumänischen Siebenbürgen (Transsilvanien) der Ramsch regiert, hält Oancea in der orthodoxen Kathedrale gerade seine Predigt. 22 Minuten sind es dieses Mal. "Schade, dass die Leute zum Flohmarkt und nicht in die Kirche gehen", meint einer der Besucher später. Doch viel Platz wäre ohnehin nicht mehr gewesen: Sogar vor der Kirche stehen sie noch, Mütter mit Babys, alte Männer - andächtig schweigend und sich regelmäßig bekreuzigend, obwohl sie nichts von dem hören können, was der Dekan der orthodox-theologischen Fakultät von Sibiu drinnen auf der Empore spricht.

3 Sprachen, 72 Kirchen

Das Mysterium, das sich Woche für Woche in der Kathedrale von Sibiu/Hermannstadt vollzieht, geschieht zeitgleich in 29 anderen orthodoxen Gotteshäusern. Insgesamt 72 christliche Kirchen beherbergt die multikulturelle Stadt, deren Name in rumänisch, ungarisch und deutsch auf den Ortsschildern prangt.

Sibius Buntheit war auch der Grund, weswegen sich die Konferenz Europäischer Kirchen (kek) und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (ccee) entschieden haben, hier von 4. bis 8. September 2007 die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung abzuhalten. "Man hat sich auch ganz bewusst für eine orthodoxe Stadt entschieden", erklärt Hannelore Reiner, Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche a.b. in Österreich und Mitglied im internationalen Vorbereitungsteam. Es sollte eine "Versammlung in Stadien sein" - mit vorausgehenden Tagungen in der Papststadt Rom (Jänner 2006) und in der Lutherstadt Wittenberg (Februar 2007). In Sibiu werden dann über 4000 Gäste erwartet.

Physiker gegen Korruption

Bis dahin will das alte Hermannstadt in neuem Glanz erstrahlen: Kaum ein Fleckchen im mittelalterlichen, zum unesco-Weltkulturerbe zählenden Stadtkern, in dem nicht Baustellen und Bagger ins Auge stechen. Im Rahmen eines europäischen ispa-Projekts (Instrument for Structural Policies for Pre-Accession) wird etwa der "Große Ring", der Hermannstädter Hauptplatz, mit einer neuen Kanalisation versorgt. 75 Prozent davon finanziert die eu, 25 Prozent die Stadt. Auch für die Erneuerung des Bahnhofplatzes und einiger Straßen hat die eu in die Tasche gegriffen. Ausländische Investoren - und die Hermannstädter - leisten den großen Rest.

Kopf der weitgehend schuldenlosen Stadt-Rundumerneuerung ist Bürgermeister Klaus Johannis. Obwohl Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit, wurde der studierte Physik-Lehrer und Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (dfdr) im Vorjahr von 88 Prozent wiedergewählt. Eine Sensation in einer Stadt, die zwar im zwölften Jahrhundert von sächsischen Siedlern gegründet und noch vor dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurde, in der aber nach riesigen Auswanderungswellen ab 1990 gerade einmal 2000 Deutschstämmige verblieben sind. "Anfang der 90er Jahre waren in wenigen Jahren sehr viele hochqualifizierte Leute weg - Intellektuelle, aber auch Handwerker", erinnert sich der dynamische Bürgermeister an die Umbruchzeit nach dem Sturz von Nicolae Ceau¸sescu. Erst nach und nach kommen manche Auswanderer in ihre Heimat Rumänien zurück - darunter auch Unternehmer. Dass deren Investitionslaune steigt, liegt unter anderem am Kampf des Bürgermeisters gegen die Korruption. "In Rumänien ist das ein Thema, das man angehen muss", erklärt Johannis.

Ein Heimkehrer ist auch der Sohn von Hans Klein, dfdr-Stadtrat und Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät. Zehn Jahre war Peter Klein in Wien. "Jetzt sagt er: Wenn er schon evangelischer Pfarrer wird, dann möchte er lieber zu Hause sein", erzählt Vater Klein. Rund 1500 Evangelische leben in Sibiu - etwa gleich viele wie Katholiken. Noch leichter zu überblicken sind die Studierenden an der evangelischen Fakultät: Gerade einmal 16 sind es derzeit, klagt Klein - und hofft, dass durch den Europäischen Hochschulraum das Interesse an einem Studium im siebenbürgischen Kleinod steigen wird.

Kleins orthodoxer Kollege Dorin Oancea hat indes gegenteilige Probleme: 730 Studierende (über 400 davon Frauen) lernen derzeit an seiner Fakultät "Andrei ¸Saguna" - zu viele, um ihnen später Arbeit als Pfarrer oder im Religionsunterricht anbieten zu können. Dabei gebe es genügend pastorale Herausforderungen: "Ein großes Problem sind die Abtreibungen", erklärt Oancea. "Unter Ceau¸sescu durfte eine Frau nach einer fehlgeschlagenen Abtreibung erst vom Arzt behandelt werden, nachdem sie dem Securitate-Mann die Namen aller Beteiligten genannt hat." Kein Wunder, dass nach 1989 Abtreibung als Zeichen von Freiheit empfunden wurde und die Geburtenrate ins Minus rutschte. Erst vor zwei Jahren hat sich durch ein "Kindergeld" von sechs Millionen Lei (170 Euro) pro Kind die Entwicklung stabilisiert, weiß Oancea, der als Dekan 400 Euro verdient.

Ende der 80er Jahre hat auch für ihn ein neuer Abschnitt begonnen - und sein Naheverhältnis zu Österreich: Es war im August 1988, als eine Gruppe von 50 Lehrenden und Studierenden der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz unter der Leitung des Liturgieprofessors Philipp Harnoncourt nach Sibiu gekommen war. Ein reger Austausch zwischen den katholischen und orthodoxen Theologen begann, der 1997 in der Unterzeichnung eines Partnerschaftsvertrages während der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz gipfeln sollte.

"Alte Wunden heilen"

Montag vergangener Woche kamen nun Vertreter der Grazer Fakultät - Dekan Bernhard Körner und Liturgiewissenschafter Erich Renhart - wieder nach Sibiu, um den Vertrag zu erneuern und eigene Erfahrungen des Jahres 1997 weiterzugeben. Nach dem Aufenthalt zahlreicher rumänischer Studierender in Graz soll im Herbst auch der erste österreichische Student den Sprung gen Osten wagen. "Diese Partnerschaft möge dazu beitragen, dass alte Wunden heilen", hofft Dekan Körner - und nimmt damit Bezug auf das Thema der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung: "Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa".

Mehr Einheit wünscht sich auch sein umtriebiger Kollege Oancea - und eine Belebung des ökumenischen Klimas im Jahr 2007. Bis dahin hat er noch viel zu organisieren und zu predigen. Genügend Hörer wird er sicher finden - mit oder ohne Flohmarkt-Konkurrenz.

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