Malaysia -ein Tigerstaat am Scheideweg

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Malaysia, Asiens zweitgrößter Erdölexporteur, leidet unter dem Verfall der Ölpreise. Die gesamte Wirtschaft ist anfällig für die Preisschwankungen auf den internationalen Rohstoffmärkten. Hoffnung macht nun die High-Tech-Industrie. Ein Lokalaugenschein.

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Malaysia, Asiens zweitgrößter Erdölexporteur, leidet unter dem Verfall der Ölpreise. Die gesamte Wirtschaft ist anfällig für die Preisschwankungen auf den internationalen Rohstoffmärkten. Hoffnung macht nun die High-Tech-Industrie. Ein Lokalaugenschein.

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Die Petronas Towers leuchten hell am Nachthimmel, in den Luxusboutiquen von Versace und Bulgari shoppt die Nouveau riche, Baukräne ziehen die nächsten Wolkenkratzer in die Höhe. Selbst nachts wird auf Kuala Lumpurs Baustellen noch gearbeitet, der Fortschritt kennt keine Pause. Das Gehämmer und Gefräse eines Baustellenfahrzeugs bei Bukit Bintang dröhnt mitten durch die orientalische Musik einer libanesischen Bar. Die malaysische Hauptstadt ist eine pulsierende Metropole, ein wichtiges Drehkreuz in Südostasien. Im November findet hier der ASE-AN-Gipfel statt, deren Vorsitz Malaysia derzeit innehat.

Die Wirtschaft des Landes ist im letzten Jahr um sechs Prozent gewachsen. Allein, die wirtschaftlichen Aussichten haben sich in den vergangenen Monaten erheblich eingetrübt. Der Hauptgrund ist der gefallene Ölpreis. Malaysia, Asiens größter Exporteur von Rohöl, muss erhebliche Einnahmenrückgänge verkraften.

Der Profit des staatlichen Mineralölkonzerns Petronas ist im ersten Quartal auf vier Milliarden Euro eingebrochen, ein Minus von 38 Prozent. Die nationale Währung ist auf ein 9-Jahres-Tief gesunken. Die Regierung musste wegen des Ölpreisverfalls den Haushalt um umgerechnet 1,5 Milliarden Dollar kürzen.

Hinzu kommen Turbulenzen bei Malaysia Airlines. Die Fluggesellschaft, die zu 70 Prozent in staatlichem Besitz ist, verlor in einem Jahr zwei Maschinen. Im März verschwand Flug MH370 auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking spurlos, im Juli stürzte Flug MH17 über der Ostukraine ab, vermutlich nach Raketenbeschuss. Die Airline ist technisch bankrott, 6000 Mitarbeiter müssen gehen. Das missglückte Krisenmanagement fällt auch auf die Regierung zurück.

Filz und Vetternwirtschaft

Premierminister Najib Razak steht politisch unter Druck. Im Zentrum der Kritik stehen Unregelmäßigkeiten um den Staatsfonds "1 Malaysia Development Berhad" (1MDB), dem Razak als Finanzminister - das Amt übt er in Personalunion aus - vorsteht. Eine Überprüfung hatte eine Schuldenlast von 42 Milliarden Ringgit (ca. 12 Milliarden Dollar) ans Tageslicht gebracht. 1MDB steht im Verruf der Günstlingswirtschaft. Über den opaken Fonds sollen u. a. Gelder an den Filmemacher Riza Aziz, einem Stiefsohn des Premierministers, geflossen sein.

Die Opposition, die bei der letzten Wahl 2013 die meisten Stimmen bekam, aber aufgrund der manipulativen Wahlkreiseinteilung nur 40 Prozent der Sitze im Parlament erhielt, fordert mehr Transparenz und Rechenschaft bei der Verwaltung des Fonds. Seit der Unabhängigkeit des Landes 1957 ist die Regierungspartei UMNO ununterbrochen an der Macht. Die Dauerregentschaft hat viel Filz und Klüngelei hervorgebracht. Premierminister Najib Razak, ein Vertrauter von US-Präsident Barack Obama, mit dem er auch schon Golf spielte, preist sein Land gerne als Hort der Toleranz, als Modell eines moderaten Islams. Die ethnischen Gruppen -fast die Hälfte der Einwohner sind Nachfahren chinesischer und indischer Einwanderer - leben in dem Vielvölkerstaat weitgehend friedlich nebeneinander.

In der Planstadt Putrajaya steht eine riesige Moschee, malerisch an einem See gelegen, die Platz für 15.000 Gläubige bietet. Kunstvolle Fresken zieren die Kuppel. Es sieht aus wie ein Märchen von Tausendundeiner Nacht.

Mit den Petrodollars von Petronas wurde hier in den 1990er-Jahren eine gigantische Planstadt aus dem Boden gestampft, die Regierungsgebäude gruppieren sich um eine symmetrische Achse. Keine zehn Autominuten entfernt befindet sich die Technikstadt Cyberjaya, der Maschinenraum Malaysias. Global Player wie Shell, BMW und DHL betreiben hier Call-Center und Rechenzentren, durch die Glasfaserkabel werden Daten gejagt, der Rohstoff der Digitalökonomie, an der auch Malaysia kräftig mitverdient.

Auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Penang ziehen Palmölfelder und Kautschukplantagen vorbei, der Regenwald musste Platz machen für die extensive Monokultur. Malaysia ist nach Indonesien der zweitgrößte Palmölproduzent der Welt. Aus dem Rohstoff werden u. a. Biodiesel, Nahrungsmittelfette und Kosmetika (etwa Lippenstifte) gewonnen.

Die Infrastruktur ist deutlich besser ausgebaut als etwa auf der indonesischen Nachbarinsel Sumatra, wo die Straßen mit Schlaglöchern gepflastert sind. Limousinen der malaysischen Automobilmarke Proton rollen über die mautfinanzierte und perfekt ausgebaute Autobahn, am Straßenrand sieht man Werbeplakate für italienische Modelabels und Abnehmmittel.

Im Land der Garküchen geht es längst nicht mehr darum, satt zu werden, sondern eine gute Figur zu haben. Solche postmaterialistischen Bedürfnisse sind oft ein Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung. Das Schwellenland Malaysia ist auf dem Weg in die Mittelklasse, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt mit 10.500 Dollar auf dem Niveau von der Türkei und Mexiko. "Towards a Middle-Class Society", war ein Bericht der Weltbank überschrieben.

Verteilungskämpfe

Im wirtschaftsstarken Bundesstaat Penang sind führende Halbleiterhersteller ansässig, auch Bosch und der Münchener Lichtspezialist Osram haben eine Niederlassung. Nicht nur Expats finden hier Arbeit, sondern auch hochqualifizierte Ingenieure aus dem eigenen Land. Der chinesischstämmige Politiker Lim Guan Eng setzte als erster Provinzchef Malaysias durch, dass alle öffentlichen Aufträge ausgeschrieben werden müssen. Auch das wirkt sich positiv auf das Investorenklima aus.

Penang wird als das "Silicon Valley des Ostens" apostrophiert. Doch Malaysia muss seine Rohstoffwirtschaft, die anfällig für Volatilitäten auf den Märkten ist (siehe Ölpreisverfall), diversifizieren, will es zu hochentwickelten Ländern wie Japan oder Südkorea aufschließen. Kurz: Es braucht mehr Penangs. Zudem muss die Regierung ethnische Spannungen zwischen einkommensstarken Chinesen und wirtschaftlich schlechter stehenden Malaien verhindern. Sonst drohen neue Verteilungskonflikte und politische Scharmützel, die die drittgrößte Volkswirtschaft Südostasiens auf lange Sicht lähmen könnten.

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