Malerei als Welterkenntnis

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Am 30. November wird der Monsignore Otto Mauer-Preis an die Südtiroler Künstlerin Esther Stocker verliehen.

Nun ist er vergeben, der Monsignore Otto Mauer Preis 2004. Benannt nach dem großen Vordenker und Vorarbeiter der katholischen Kirche in Österreich im 20. Jahrhundert, kreiert und politisch umgesetzt von dessen kongenialem Erben Karl Strobl. Mit seiner Galerie nächst St. Stephan wollte Mauer Kunst und Kirche einander näher bringen und hat nebenbei der ungegenständlichen, informellen, konkreten Kunst in Österreich zu einem gewissen Durchbruch verholfen. Der Preis versteht sich als Nachfolge der Galeriegrundsätze und wird gleichzeitig nie ein museales Erbe sein, weil er Mauers Forderung, sich dem "eben Entstehenden" zu widmen, ernst nimmt. Weil "das Probate wiederzukauen jedenfalls nicht interessiert" und der nötige Mut zum Experiment nicht gescheut wird, entsteht jedes Jahr aufs Neue eine angenehm kribbelige Spannung.

Nun ist die Katze aus dem Sack, heuer hat es Esther Stocker erwischt, sie ist die diesjährige Preisträgerin. Die junge Südtiroler Künstlerin ist Furche-Lesern bereits von einem Galerienrundgang aus dem letzten Jahr (vgl. Nr. 16/2003) bekannt. Ihre Arbeiten formieren sich als visuelle Grundlagenforschung, ein schwieriges und hinsichtlich einer leicht erreichbaren Öffentlichkeit undankbares Unterfangen. Insofern liegt sie genau auf Mauers Linie, jenseits der Trampelpfade Wegmarken setzen zu wollen. Mit ihrer äußersten Reduktion in Form und Farbe auf Liniengeflechte in Schwarz und Weiß entführt Esther Stocker die Betrachter zu jenen Herausforderungen, die Kunst von Beliebigkeit abhebt. "Reduktion richtig und kraftvoll angewendet, führt nicht zur geistigen Armut, sondern zur Schärfe und Tiefe des Geistes. Das Einfache als Einsinniges, Eindeutiges stellt einen Akt der Konzentration dar", schrieb Mauer seinerzeit.

Malerei, so wie Esther Stocker sie betreibt, gibt sich nicht mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten ab, erzählt keine überflüssigen Geschichten, eine derartige Malerei geht aufs Ganze. Sie geht aufs Ganze, indem sie unsere Möglichkeiten der Welterkenntnis und unserer Wahrnehmungsprozesse von Grund auf mit den Mitteln der Malerei durchforscht, durchspielt - und wohl auch durchleidet. Angesichts dieser Arbeit lässt sich mit Mauer feststellen, dass "Kunst eine Art Philosophie des Konkreten ist, wobei das Philosophieren im Kunstschaffen steckt und mit ihm eigentlich schon identisch ist".

Auf den ersten Blick scheint Esther Stocker den folgemächtigen Schritt von Galilei nachzuvollziehen, der in der Geometrie den endgültigen Schlüssel zur Welt gefunden zu haben glaubte. Aber was zeitgenössische Wissenschaft im Gefolge von Galilei zu Aufsehen erregenden Höchstleistungen perfektioniert, desavouiert die zeitgenössische Künstlerin Esther Stocker durch ein feinsinniges Unterwandern der scheinbar perfekten (geometrischen) Welt. Denn hofft man beim ersten Blick auf ihre Bilder und Raumgestaltungen noch, mit ein klein wenig Konzentration würde sich schon der nette Eindruck eines in sich ruhenden Musters, einer geometrischen Stringenz einstellen, so wird man diesbezüglich bei jeder weiteren visuellen Vertiefung in die Arbeit enttäuscht. Es ist aber mehr eine Befreiung aus der eigenen Täuschung, aus der selbst erfundenen Chimäre, die man wie ein zweites Netz über die Netze von Esther Stocker zwecks angeblich daraus resultierender leichterer Lesbarkeit geworfen hatte. Wie sollte man erstaunt sein, dass die Künstlerin dieses wieder abwirft? Jenseits dieses Eigenschutzes der Kunst vor Eingemeindungen in eine vernichtende Umwelt liefern diese Arbeiten die erschreckende Beruhigung, dass wir diese Welt nicht wirklich managen können, dass der bereits über die Jahrtausende verfolgte archimedische Punkt unerreichbar bleibt.

Der Blick auf Esther Stockers Arbeiten legt es genau in diesem Wirrwarr aus Linien in aller Klarheit nahe: Wir schauen im Blick auf die Welt immer durch die Unsichtbarkeit unserer Vormeinung und verpassen dadurch oft das entscheidend Unsichtbare in all den Sichtbarkeiten dieser Welt. Genauso haarscharf, wie die Linien, die sich gemäß unserer Vormeinungen eigentlich treffen sollten, bei Esther Stocker aneinander vorbeischrammen.

Preisverleihung: Dienstag, 30. 11, 19.30 Uhr, Festräume des Erzbischöflichen Palais, Wollzeile 2, 1010 Wien

Ausstellung im Jesuitenfoyer, Bäckerstraße 18, 1010 Wien, 10.-23. 12. Mi-Sa 13-18, So 10.30-12.30 Uhr Eröffnung: 9. Dezember, 19 Uhr

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