Managementtheorie und Turbokapitalismus

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Management-Autoren hinterfragen die Effizienz des Shareholder-Values als Unternehmensziel.

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Seit rund 15 Jahren gilt die amerikanische wirtschaftliche Theorie und Praxis auch in Europa als vorbildlich für den Weg, welchen die Wirtschaft zu gehen habe. Doch die Zweifel an dessen Richtigkeit nehmen nicht nur bei europäischen Politikern, sondern auch in immer mehr Unternehmen zu.

Die Politiker können die Gefahren für den Sozialstaat nicht ignorieren. Viele selbständige Unternehmer sehen ein Schicksal als Kleinaktionäre ohne Mitspracherecht vor sich. Die Konzentrationstendenzen sind mittlerweile Tagesgespräch. Die Autoren erwähnen den mißlungenen Versuch Krupps, Thyssen über den Tisch zu ziehen. Aber was war diese Elefantenhochzeit gegen die Mega-Elefantenhochzeit von Mercedes mit Chrysler? Läßt sich angesichts Globalisierung und WTO noch eine Gegenstrategie entwickeln? Vor allem in Frankreich und Deutschland zerbricht man sich darüber den Kopf. Zwei Neuerscheinungen sind dafür symptomatisch.

Mit einem kritischen Führer durch die durchwegs aus den USA kommenden Managementtheorien, "Heiße Luft in neuen Schläuchen", versuchen Rolf Hoerner und Katharina Vitinius der Kernfrage auf die Spur zu kommen: Was steht denn eigentlich hinter allen diesen Theorien über Management? Ihre Zahl ist groß. 21 davon werden jeweils in eigenen Kapiteln untersucht, von "Management by Leadership" über "Kanban" und "Lean Management" bis "Total Value Management" und "Biologische Programme". Daß Managementberater zuerst und vor allem ihre eigenen und erst danach die Interessen der Auftraggeber verfolgen, wurde schon oft festgestellt. Hoerner und Vitinius gehen einen großen Schritt weiter. Hinter all den Beraterthesen steht nach ihrer Ansicht die Angst der Manager, und diese Angst wird mehr als je zuvor von einer Bedrohung neuer Art geschürt.

Da wäre einerseits und vor allem der ständige Druck von Pensions- und anderen Fonds, andererseits, mehr im Hintergrund, jener der corporate raiders ("AG-Räuber"). Hohe Gewinnausschüttungen ermöglichen hohe Aktienkurse. Hohe Gewinne werden erreicht, indem man die Arbeitskosten senkt, sei es durch Entlassungen, sei es durch Lohnsenkungen - oder, indem Investitionsmittel, die keine baldige "Performance" versprechen, statt dessen an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Dafür, wie man dabei vorgeht, sind die Managementberater zuständig. Doch laut amerikanischen Kritikern sei "so manches Unternehmen bei der gnadenlosen Orientierung am Shareholder Value in den Bankrott getrieben worden."

Die großen Mutual Funds stört das weiter nicht. Sobald sich die Reserven solcher Unternehmen der Erschöpfung nähern, stoßen sie die Aktienpakete ab und wechseln auf andere. Dem Kurssturz der Aktie folgt nicht selten der Ausgleich des Unternehmens, oder es wird zur leichten Beute für die corporate raiders.

Diese zielen auf Firmen, deren Substanzwert über dem Börsenwert liegt: "Sie kauften die unterbewerteten Papiere auf Pump und finanzierten den Kaufpreis durch Weiterverkauf von Einzelteilen wie Immobilien und Tochtergesellschaften. Die Überschüsse beim Verkauf blieben die Beute der Raider. Ist aber das Verhältnis von Markt- zu Buchwert positiv, dann verlieren die Raider den Anreiz." Auch in Deutschland erliegt man manchmal dieser Versuchung des dicken Schnäppchens.

Die wichtigste negative Konsequenz für die Volkswirtschaften scheint in der Schwierigkeit zu liegen, Firmenstrategien auf längere Sicht zu entwickeln. Steht die europäische Wirtschaft dieser neuen Art von auch in Europa immer aggressiver auftretenden Anlegern wehrlos gegenüber?

Langsam entdeckt Europa, daß in den USA auch nur mit Wasser gekocht wird und unsere Perspektiven vielleicht doch die besseren sind. Heinrich von Pierer, Vorstandsvorsitzender von Siemens, und Bolko von Oetinger, ein Deutscher, der es zum Senior Vice Präsident der Boston Consulting Group brachte, veröffentlichten gemeinsam das Buch "Wie kommt das Neue in die Welt?"

Die Beiträge des Bandes zeigen, daß auch in Europa unabhängig und innovativ gedacht und gearbeitet wird, ohne deshalb Amerika außer acht zu lassen. In der heutigen Welt könne man sich weder durch Nachahmen noch durch Ablehnen fremder Beispiele und schon gar nicht durch Jammern halten. Worum geht es den Autoren konkret? Pierer und Oetinger denken vor allem an Neuerungen, die deutschen Firmen ihren Vorsprung sichern sollen.

Die Beiträge reichen von konkreten Beispielen für Führung und Erfolge großer und mittlerer Unternehmen bis zu strategischen Erwägungen politischer und ökonomischer Theoretiker und bis zur Erfahrung von Künstlern im Schaffensprozeß sowie ethischen und ökologischen Problemen. Es ist erstaunlich, wievielen fest verankerten Vorurteilen es hier an den Kragen geht. Etwa der fixen Idee, Produktion sei passe, Serviceleistungen seien alles. Gerhard Cromme, dem Vorstandschef von Krupp, erscheint "ein Volk von Pizzabäckern, Internet-Beratern und Physiotherapeuten... ohne gesunde industrielle Basis undenkbar". Krupp jedenfalls liege mit seinen Neuerungen im Spitzenfeld, "unsere Kernfähigkeit liegt darin, industrielle Prozesse zu managen." Auch die Lohnkosten stehen für ihn, wie für andere in den Beispielen erwähnte Unternehmer, nicht an erster Stelle: "Die Lohnkosten sind nur ein Teilaspekt." Wenn nach einer Periode der Stagnation der Gesamtkostenvorsprung wieder gesichert sei, "können unsere Leute ruhig mehr verdienen."

Oder die fixe Vorstellung, der Staatseinfluß in Deutschland sei zu groß. "Schon in der ersten industriellen Revolution, die von England ausging, spielte der Staat - entgegen dem Mythos vom Manchesterliberalismus - eine umfassende Rolle. Und noch viel weniger entstand die heutige zweite Revolution durch die unsichtbare Hand des Marktes" schreibt Konrad Seitz und zählt die Unterstützungen der US-Regierung für IBM und andere Unternehmen auf. Der Unterschied liege in riesigen Rüstungsaufträgen, statt, wie in Europa, in Subventionen. Für die Politiker ergebe das Herausforderungen, denen sie sich stellen müßten.

Das Buch enthält eine Fülle von Beispielen für Innovationen des offenbar doch nicht so ungünstigen Standorts Deutschland. Dazu kommen Beiträge aus Deutschland, den USA, Japan und Korea. Das Mosaik vermittelt den Eindruck, daß der Innovationsprozeß, wie ihn große Teilen der deutschen Wirtschaft zur Zeit verstehen, auf langfristigen Strategien fußt - ganz anders als die lautstarken Vertreter des Turbokapitalismus, die das Heil in der konsequenten Übernahme der US-Methoden und in sofortigen Ergebnissen erblicken.

Heisse Luft in neuen Schläuchen. Ein kritischer Führer durch die Managementtheorien.

Von Rolf Hoerner und Katharina Vitinius, Eichborn Verlag, Frankfurt/M 1997, 207 Seiten, Ln., öS 364,- Wie kommt das Neue in die Welt?

Von Heinrich von Pierer und Bolko von Oetinger, Hanser Verlag, München 1997, 336 Seiten, Ln., öS 364,

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