Männlichkeit - © Foto: Pixabay

„Mann sein“ ist mehr als nur „stark sein“

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Der Franziskanerpater Richard Rohr, Pionier einer christlichen Männerbewegung in den USA, begleitet die Herren der Schöpfung bei ihrer Reise in die "wahre Männlichkeit".

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Der Franziskanerpater Richard Rohr, Pionier einer christlichen Männerbewegung in den USA, begleitet die Herren der Schöpfung bei ihrer Reise in die "wahre Männlichkeit".

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Mit dem "neuen Mann", meint der Kölner Männerforscher Dieter Schnack, sei es wie mit dem Yeti: "Alle reden von ihm, doch keiner hat ihn noch gesehen". Weder im Gebirge, noch in den Niederungen von Büro, Wohnzimmer oder Küche.

Die Botschaft der Männerbefreiung, mutmaßt der Soziologe, sei offenbar noch nicht bis in die Fundamente der Gesellschaft durchgedrungen. Obwohl sich die Rollenbilder in den vergangenen Jahren verändert haben, ist das traditionelle Bild des Mannes noch allgegenwärtig: Als Softie, Macho, Muttersöhnchen, Familientyrann, anabolikagemästeter Bodybuilder, unersättlicher Schürzenjäger, strahlender Held im Beruf und Familienerhalter statt Familiengestalter - kurz: als Zerrbild und Karikatur einer authentischen, wahrhaften Männlichkeit.

Davon ist auch Richard Rohr überzeugt, Franziskanerpater und Vorreiter einer spirituellen Männerbewegung in den USA. Unter dem Motto "Adam - wo bist du? Reise zur Mitte des Mannes", leitete er vor zwei Jahren eine ökumenische Männertagung auf Schloß Tanzenberg (Kärnten). Im August kommt er wieder nach Österreich - und dann geht's in die Praxis: Mit Hilfe alter Initiationsriten, die in vielen Kulturen den Übergang vom Kind zum Mann prägten, soll "der eigenen Verwundbarkeit und Nacktheit ins Auge geschaut" und die "ureigene spirituelle Kraft" entfesselt werden.

Ziel der inneren Reise ist die Entdeckung der "wahren Männlichkeit", die sowohl die männlichen als auch die weiblichen Anteile des Mannes integriert und ihn "zum Risiko, zur Güte, zu Vergebung und Liebe" reifen läßt. Der initiierte Mann, der die Heldenfahrt in sich selbst als "Reise des Glaubens" unternommen hat, ist nach Richard Rohr ein "befreiter Mann" - offen fürs Leben und beziehungsfähig.

"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte schon dazumal ein blonder Barde deutscher Zunge - und flüchtete vor der elementaren Fragestellung in Klischees und Stereotypen. Unsicherheit auf der ganzen Linie: Die Krise der Leistungsgesellschaft, die Konfrontation mit dem Feminismus, Schwierigkeiten im Umgang mit der Sexualität lassen das traditionelle Männerbild wanken. Während Frauen schon seit langem über ihre Geschlechterrolle und ihre Beziehungen laut nachgedacht haben, wissen Männer weit weniger mit ihrer Identität anzufangen.

Zurückgeblieben ist eine fundamentale Orientierungslosigkeit, die nicht nur ihren sozialen, sondern auch ihren wirtschaftlichen Tribut fordert: "Unsere politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systeme werden größtenteils von Männern geleitet, die zu unfrei sind, um wirklich kreativ zu sein", sagt Richard Rohr. "Weil sie jeden anderen Mann nur in Konkurrenz zu sich sehen, fehlt ihnen das kreative Fühlen und Denken. Wir haben einen hohen Preis bezahlt, indem wir den Mann auf dieses enge Selbstbild fixiert haben: immer beschäftigt, kontrolliert, effizient und emotionsarm. Was der Mann dabei opfert, ist seine Menschlichkeit, oder - spirituell gesprochen - seine Seele".

Die "vaterlose Gesellschaft", das Fehlen männlicher Leitfiguren, der gleichzeitige Hunger nach dem Vater und die Definition durch äußere Erfolge, führe zwangsläufig ins emotionelle Analphabetentum. "Weil wir nun Generationen von Männern haben, die nicht ,bevatert' wurden, gibt es sowenige, die uns in die Männlichkeit initiieren können", sagt Rohr.

Während der Mann außerhäuslichen Pflichten nachgeht, legt er die Erziehungsarbeit in die Hände der Frau. Was ja grundsätzlich keine Katastrophe ist - nur kann die Mutter ihrem Sohn nicht beibringen, was es heißt, Mann zu sein. Zurück bleiben "halbierte Männer", denen der Zugang zur eigenen Gefühlswelt verschlossen ist, weil ihnen das "Geredetsein durch den Vater" fehlt.

Zurück bleiben hohle Posen der Männlichkeit, die bloß erlittene Verletzungen kaschieren und mit der Männlichkeit des initiierten "ganzen" Mannes nichts gemein haben.

"Umgehen lernen mit Gefühlen", in den Worten Richard Rohrs "den eigenen Schatten umarmen", das ist auch für den Theologiestudenten Dave Karloff (24) die zentrale Botschaft des Franziskanerpaters. Männer seien darauf konditioniert, keine Gefühle zu zeigen, "doch wenn man den Deckel lange genug draufläßt, explodiert es irgendwann".

Dave Karloff gehört zum achtköpfigen Organisationsteam des heurigen Männerseminars im Werkschulheim Felbertal. Selbst leidend an einer "Vaterwunde", hatte er im Vorjahr an einem Initiationsseminar Richard Rohrs in New Mexiko teilgenommen und ist von der Sinnhaftigkeit archaischer Trennungs-, Trauer- und Heilungsriten überzeugt: "Die Initiation zeigt mir meinen Platz im Universum. Sie ist keine Therapie, hat aber auf andere Weise einen reinigenden Effekt. Ich habe begriffen, daß ich nicht alles im Leben erreichen muß und daß ich lange versucht hatte, durch Leistung Anerkennung und Liebe zu kaufen. Der Boden, auf dem ich mich bewege, ist einfach ein anderer geworden". Das offene Ansprechen von Schmerzen, Ängsten und Frustrationen, die Wiederbelebung des persönlichen Gesprächs, das Zulassen von Berührung durch andere Männer lasse "männliche Energie" fließen und die emotionalen Anteile der Seele wachsen.

Für Jakob Faccinelli (49) bedeuten die fünf Botschaften der Initiation (das Leben ist schwer, du wirst sterben, du bist nicht so wichtig, du hast nicht die Kontrolle, dein Leben dreht sich nicht um dich) eine Einübung in die Tugend der Demut. Der Tischler in Feistritz/Drau (Kärnten) ist dreifacher Familienvater und neben seinem Engagement bei den Männerseminaren seit 17 Jahren in einer christlich orientierten Familienrunde aktiv. "Nur wenn ich mich zurücknehme", sagt er, "kann sich mein Nächster entfalten, aber dadurch kann er mich auch verletzen. Eine Verletzlichkeit, die ich aushalten muß". Letztlich gehe es darum, "die Freiheit, die mir der Schöpfer verliehen hat" zu leben - und das sei mit "unheimlich viel Verantwortung" verbunden.

Das christliche Vertrauen, ein kleiner Teil eines großen Geheimnisses zu sein, führe ihn auf diesem Weg: "Gott hat etwas vor mit uns, auch wenn wir es nicht gleich sehen". Die Reise in das unerforschte Terrain der männlichen Seele ist kein heiterer Ausflug. Die eigene Verletzlichkeit zu spüren; sich einzugestehen, daß "Mann sein" nicht nur "stark sein" bedeutet, den aufgestauten Zorn in neue Energie zu verwandeln - all das geht nicht ohne Schmerzen vor sich. Für Richard Rohr versinnbildlicht der beschwerliche Weg die Botschaft des Kreuzes: "Durch die Wunden kommen wir zur Wahrheit". Das muß nicht durch ein Initiationsritual geschehen - viele Männer werden ja durch das Leben selbst "initiiert". Die Frucht des Schmerzes aber ist immer dieselbe. "Je sicherer ein Mann in seiner Männlichkeit ist, desto menschlicher ist er mit sich, seinesgleichen und mit den Frauen", sagt Paul M. Zulehner.

Nicht zuletzt meint Männerbefreiung auch die Befreiung von starren Zwängen und kurzsichtigen Lebensperspektiven, die bloß darauf ausgerichtet sind, den status quo zu zementieren. "Stellen Sie sich vor", sagt Richard Rohr, "wenn das größte Ziel all Ihrer Bildung, Arbeit, Anstrengung und Liebe einmal darin bestanden hat, ein Haus zu bauen und Golf spielen zu gehen ... das Leben ist doch mehr als das."

Zum Thema Zum Weiterlesen Die Männer sind noch nicht geboren.

Von Johannes Kaup. In: Paul M. Zulehner: Müssen Männer Helden sein? Neue Wege zur Selbstentwicklung, Tyrolia 1998 Der wilde Mann. Geistliche Reden zur Männerbefreiung, München 1986 Richard Rohr: Die Masken des Maskulinen, München 1995 Seminartip "Einst war ich ein Kind, jetzt bin ich ein Mann": Initiationsriten mit Richard Rohr, USA vom 31. August bis 4. September 1998 im Werkschulheim Felbertal/Hallein. Informationen erteilt Dave Karloff, Auersperggasse 3, 8010 Graz. Tel.: 0664/ 25 23 22 6 oder 0316/ 386 485

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