Marie von Ebner-Eschenbach: Schreiben gegen alle Widerstände

19451960198020002020

100 Jahre nach ihrem Tod ist Marie von Ebner-Eschenbach eher als harmonisierende Dichterin der Güte bekann. Doch ihre Werke zeigen genaue Blicke auf die Gesellschaft der Epoche Kaiser Franz Josephs.

19451960198020002020

100 Jahre nach ihrem Tod ist Marie von Ebner-Eschenbach eher als harmonisierende Dichterin der Güte bekann. Doch ihre Werke zeigen genaue Blicke auf die Gesellschaft der Epoche Kaiser Franz Josephs.

Werbung
Werbung
Werbung

Als die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach am 12. März 1916 im 86. Lebensjahr in ihrer Wohnung in der Spiegelgasse 1 (Wien, I. Bezirk) verstarb, wurde sie in den Zeitungen ausführlich gewürdigt. So heißt es etwa im Nachruf, erschienen in der (Österreichischen) Volks-Zeitung vom 13. März 1916: "Unsere größte Dichterin ist nicht mehr. Eine Frau, so stark und gewaltig, daß sie Tausende von Männern in ihren Bann zwang, daß sie neidlos neben die Größten gestellt wurde, die je gelebt, daß der Name der ersten deutschen Dichterin das Postament der Unsterblichkeit ihr schon bei Lebzeiten verliehen werden durfte."

Um 1900 war Marie von Ebner-Eschenbach zweifellos die Grande Dame der deutschsprachigen Literatur. Dies zeigte sich bei den Ehrungen rund um ihren siebzigsten Geburtstag am 13. September 1900. Als erste Frau erhielt sie im Jahre 1898 das österreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft, als erster Frau wurde ihr das Ehrendoktorat der Universität Wien verliehen und zehn Jahre später auch der Elisabeth-Orden I. Klasse. Zu den Gratulanten aus dem Literaturbetrieb zählten langjährige Weggefährten wie Paul Heyse, Hieronymus Lorm, Peter Rosegger und Ferdinand von Saar ebenso wie Gerhart Hauptmann, Hermine Villinger oder Arthur Schnitzler als Vertreter der jungen Schriftstellergeneration. Das Burgtheater veranstaltete eine Ebner-Feier und führte, eingeleitet von einem Festprolog Ferdinand von Saars, drei ihrer Theaterstücke auf ("Am Ende", "Doktor Ritter" und "Ohne Liebe").

Identifikationsfigur

Ehrenbezeugungen wie die von 10.000 Wienerinnen unterschriebene Dankadresse und die Gratulation der Arbeiterführer Engelbert Pernerstorfer und Victor Adler zeigen auch die Bandbreite der Rezeption: Während Letztere mit Ebner-Eschenbachs Sozialethik sympathisierten, war sie für die Frauenbewegung eine Identifikationsfigur. Marie von Ebner- Eschenbach weigerte sich zwar beharrlich, innerhalb der diversen Frauenvereine in die erste Reihe zu treten, sie pflegte aber Kontakt mit jungen Schriftstellerinnen und förderte sie, nicht zuletzt durch den von ihr gestifteten und nach ihr benannten Literaturpreis, den unter anderem Isolde Kurz (1901), Enrica von Handel-Mazzetti (1904), Helene Böhlau (1905), Marie Eugenie delle Grazie (1906) und Ricarda Huch (1907) erhielten.

Hundert Jahre nach ihrem Tod ist Marie von Ebner-Eschenbach im literarischen Kanon zwar fest verankert, allerdings eher als harmonisierende Dichterin der Güte, die wenig Interesse weckt. In österreichischen Schulen wird, wenn überhaupt, meist die Novelle "Krambambuli" gelesen - und auf eine rührselige Hundegeschichte reduziert. Die gängigen Bilder der Autorin zeigen eine altersweise Frau, als hätte die junge Ebner-Eschenbach nie existiert. Zum Image der versöhnlichen Ausgleicherin hat freilich auch ihre eigene Selbststilisierung beigetragen. Für ihre autobiografischen Skizzen ordnete sie ihren Nachlass, sichtete die Familienkorrespondenz und fertigte Auszüge aus ihren umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen an, die sie ihrem Biografen Anton Bettelheim zur Verfügung stellte. Erst durch die Veröffentlichung der Originaltagebücher - Marie von Ebner-Eschenbach schrieb wie Arthur Schnitzler über fünfzig Jahre lang Tagebuch - wurde sichtbar, wie groß der Unterschied zwischen den authentischen Aufzeichnungen und den (selbst)zensierten Tagebuch-Auszügen ist. Die privaten Einträge zeigen das Bild einer Frau, die unter größtem Einsatz versucht, ihre Rolle an der Seite ihres Mannes und innerhalb der Großfamilie zu erfüllen, und dennoch Zeit für das Schreiben zu finden.

Schreiben unter Pseudonym

Marie von Ebner-Eschenbach wurde am 13. September 1830 als Tochter des Barons Franz von Dubsky und dessen zweiter Ehefrau Marie, geb. von Vockel, auf Schloss Zdislawitz (Zdislavice) bei Kremsier (Kromeríz )geboren. 1848 heiratete sie ihren Cousin Baron Moritz von Ebner- Eschenbach (1815-1898), Professor an der militärischen Ingenieur-Akademie in Wien. Die Ehe blieb kinderlos. Schon früh verspürte die junge Adelige den Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Ihre Familie reagierte auf dieses Ansinnen überwiegend verständnislos, ja sogar ablehnend. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass Marie von Ebner-Eschenbach nicht einfach still und heimlich Gedichte schrieb, sondern sich zunächst - dies ist weniger bekannt - als Dramatikerin verstand. Ihre Pläne waren ehrgeizig; sie wollte nichts weniger als "der Shakespeare des 19. Jahrhunderts" werden.

Ebner-Eschenbach schrieb, teils unter (männlichem) Pseudonym, historische Tragödien, Künstlerdramen, Gesellschaftsstücke und Komödien, die von wenigen Ausnahmen abgesehen kaum von Erfolg gekrönt waren. Die Tagebücher der 1860er- und 1870er-Jahre sind voll von Eintragungen, die den Teufelskreis von missgünstigen Kritiken und daraus resultierenden familiären Schwierigkeiten beschreiben. Die Schriftstellerei gilt ihrer Umgebung als Wurzel allen Übels, nicht zuletzt für ihre angeschlagene Gesundheit. Die Vergeblichkeit ihres fast 30-jährigen Bemühens auf dem Gebiet des Dramas wurde später meist nur auf eine Tatsache zurückgeführt - auf ihr Frausein. Ihren Dramen "fehlt nichts als - die Hand des Mannes, welche allein die Gewalt fordernde Form zu beherrschen vermag." (Alexander von Weilen)

Zweifellos standen die männlichen Kritiker einer dramenschreibenden Frau und noch dazu einer Adeligen vielfach reserviert gegenüber. Ihre Herkunft hatte ihr zwar den Weg zur Bühne erleichtert, mit ihrer kritischen Haltung dem eigenen Stand gegenüber hatte sie sich aber auch den Unmut vieler Standesgenossinnen und -genossen zugezogen. Auf Vermittlung ihrer Schwester Julie von Waldburg-Wurzach brachte schließlich der Verlag Cotta einige Erzählungen Ebner-Eschenbachs heraus. Dem Karlsruher Intendanten Eduard Devrient, dem sie den Band gewidmet hatte, schrieb sie: "Mein Talent hat nicht gehalten, was Sie und ich uns einst davon versprachen; die Ungunst der Verhältnisse war größer, als meine Fähigkeiten, sie zu überwinden. Es ist eine schmale Ernte, die ich jetzt - so ziemlich am Ende meiner Laufbahn angelangt - einheimse."

Literarischer Durchbruch

Marie von Ebner-Eschenbach sollte mit dieser resignativen Bilanz nicht recht behalten. Mit der Aufnahme des Romans "Lotti, die Uhrmacherin" 1879 in die Deutsche Rundschau war der Durchbruch geschafft, publizierte sie jetzt doch im wichtigsten Organ des bürgerlichen Realismus, Seite an Seite mit Autoren wie Theodor Storm, Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Paul Heyse und Theodor Fontane. Erst in den 1880er-Jahren sollten ihre bekanntesten Werke entstehen, die beiden Bände "Dorf- und Schloßgeschichten","Das Gemeindekind" und die "Aphorismen". In ihnen zeigt sich ein genauer Blick auf die Gesellschaft der Epoche Kaiser Franz Josephs, mit dem sie die Lebensdaten teilt, auf politische Bruchlinien, soziale und ästhetische Fragen. Mit 60 ist Marie von Ebner-Eschenbach eine gefeierte Autorin.

Die Autorin leitet das Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Universität Innsbruck.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung