Maß nehmen an der WIRKLICHKEIT

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Der Dramatiker Peter Turrini feiert seinen 70. Geburtstag mit der Uraufführung der Revue "C'est la vie" am Theater in der Josefstadt.

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Der Dramatiker Peter Turrini feiert seinen 70. Geburtstag mit der Uraufführung der Revue "C'est la vie" am Theater in der Josefstadt.

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Am 26. September feiert Peter Turrini seinen 70. Geburtstag. Das Theater in der Josefstadt spielt aus diesem Anlass seit 17. September die Revue "C'est la vie", eine Sammlung von Gedichten und Gedanken, Konstruktion eines Dichterlebens. Wie Goethe (in "Dichtung und Wahrheit") beginnt Turrini mit seiner Geburtsstunde, die sich allerdings nicht mehr genau eruieren lässt. In jedem Fall aber war sie günstig für ein erfolgreiches Schriftstellerleben, das - wie könnte es anders sein - mit einer unglücklichen Kindheit seinen Anfang nimmt. Im von Herzenskälte geprägten Kärntner Dorf erfindet Peter Turrini seine eigene Welt, wichtigstes Vehikel dafür ist die Sprache.

Als junger Mann arbeitet er als Schreibmaschinen-Vertreter, Werbetexter und Manager, 1971 steht er am Ziel seiner Träume: Das Volkstheater führt "Rozznjogd" auf (und bringt im Dezember eine Neuinszenierung). Turrini wird schlagartig als literarischer Provokateur berühmt. Es folgen "Sauschlachten", "Josef und Maria" und "Die Minderleister". Die Anti-Heimat-Fernsehserie "Alpensaga" (zusammen mit Wilhelm Pevny) macht Turrini einem breiten Publikum bekannt. In der Burgtheater-Ära von Claus Peymann werden "Tod und Teufel" sowie "Alpenglühen" zu Erfolgsinszenierungen, die kontroversielle und produktive Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen.

In "C'est la vie" greift Turrini nun nach den Zeugnissen seiner Erfolge und stellt Beweisstücke zur Schau: Manuskripte, heute im Besitz des Archivs für Zeitgenossen in Krems, bilden die Basis von Turrinis literarischem Archiv. Sie stehen im Zentrum der Bühne, die als Setzkasten eingerichtet ist und ein buntes Bild mit Versatzstücken aus einem reichen Leben darstellt. Sechs "Turrini"-Akteure verkörpern die vielen Seiten seiner Identität, unterstreichen die katholische Herkunft und singen "Bella Ciao", das Lied der Kommunisten, denen Turrini ebenfalls angehörte. Mit der FURCHE sprach Peter Turrini über Politik, Kärnten und Karriere.

DIE FURCHE: Bei Ihrer Revue "C'est la vie" handelt es sich um eine Rückschau, in welcher Sie auch auf den Beginn Ihrer Karriere Bezug nehmen. Was waren Ihre wichtigsten Erfolge? Und was ist Ihre Motivation, weiter zu schreiben?

Peter Turrini: Da die Dramenschreiberei nicht nur mein Beruf, sondern mein Leben, ja Überleben bedeutet, habe ich die letzten fünfundvierzig Jahre beinahe durchgehend an der Schreibmaschine verbracht. Ich werde sehr oft von innerer Düsternis heimgesucht und verstehe die Menschen um mich und die Welt nicht mehr. Aber das Theater ist ein Ort, an dem ich alles Unverständliche, Bedrängende, noch einmal nachstellen kann und mir selbst, und vielleicht auch einem Publikum, verständlich machen kann. Sie fragen mich auch nach meinen Erfolgen und das ist bei mir so eine Sache: Die Erfolge vergesse ich zumeist, die Misserfolge merke ich mir. Ich habe offensichtlich ein Talent, mir ab und an ein Messer in die Brust zu stoßen und es ein paar Mal umzudrehen. Von meinen knapp vierzig Stücken hat sich ungefähr die Hälfte von den Niederschlägen der Uraufführung nicht erholt. Der Rest macht kleinere und größere Runden durch die Welt, und das könnte auch ein Anlass zur Freude sein.

DIE FURCHE: Die Revue endet mit den Worten: "Nichts wird euch an mich erinnern, dort am Boden liegt der Schein, und ich werd auf allen Bühnen ganz ich selber sein." Müssen Sie denn so viel spielen in der Wirklichkeit?

Turrini: Als Dramatiker nehme ich Maß an der Wirklichkeit, finde dort also etwas vor, aus dem ich meine Erfindungen mache. Ob ich mich noch im Bereich der Vorfindung oder schon im Reich des Fantasierens befinde, das weiß ich manchmal selber nicht ganz genau. Gesicht und Maske sind nicht so genau voneinander zu trennen. Das ist sozusagen das Berufsrisiko eines Dramatikers.

DIE FURCHE: Am Burgtheater inszeniert Christian Stückl "Bei Einbruch der Dunkelheit". Viele bekannte Regisseure - Dietmar Pflegerl, Claus Peymann, Peter Palitzsch, Alfred Kirchner u. a. - haben "Turrini" inszeniert, welcher Zugriff erscheint am gelungensten?

Turrini: Ich habe keine Lieblingsregisseure, aber es gibt für mich eine bestimmte Arbeitsmethode mit Regisseuren, die ich am liebsten habe. Ich arbeite ungefähr ein Jahr lang an einem Stück und natürlich habe ich ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie es auf der Bühne aussehen müsste. Der Regisseur hat natürlich seine eigenen Vorstellungen. Es liegt also in der Natur der Sache, dass wir aufeinanderprallen. Die ideale Aufprallerei besteht für mich darin: Wir streiten voller Leidenschaft, aber immer ist es ein Streit um die Sache, um eine funktionierende Strichfassung, um die bessere szenische Auflösung. Keiner spielt den Bedeutungsträger oder rennt gar beleidigt von dannen. Diese Methode betreibe ich seit einigen Jahren mit Herbert Föttinger, und es ist eine Freude mit ihm. Auch wenn manchmal die Lautstärke der Auseinandersetzung eine hohe ist.

DIE FURCHE: "Bei Einbruch der Dunkelheit" spielt in Ihrem Heimatort Maria Saal. Was bedeutet Heimat für Sie? Wie betrachten Sie die Entwicklungen in Kärnten heute?

Turrini: Ich nehme das Wort Heimat ungern in den Mund, weil ich nicht so genau weiß, was das sein soll. Die "Heimat Österreich" hat ihre Staatsform in den letzten hundert Jahren fünf Mal gewechselt. Auf so eine instabile Sache lass' ich mich erst gar nicht ein. Ich habe als Kind in diesem Kärnten viel Ausgrenzung erlebt, die ich mir wirklich nicht gewünscht habe, aber es war einfach so. Also habe ich mich auch dort nie beheimatet gefühlt. Und was die Entwicklung, die heutige, in Kärnten betrifft, so ist sie eine positive: Trotzdem muss man hellwach sein, denn vor noch nicht allzu langer Zeit hat beinahe jeder zweite Kärntner den Haider gewählt. Sind die jetzt alle in der SPÖ untergetaucht? Und als was tauchen sie demnächst wieder auf?

DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Entwicklung in der Literatur? Seit den 1980er-Jahren driften ja Politik und Literatur wieder auseinander. Der Rückzug ins Private ist bei jungen Autoren stärker im Blick als die Auseinandersetzung mit politischen Fragen.

Turrini: Dieses Auswandern des Politischen aus der Literatur beobachte ich auch und finde es traurig. Aber das Schöne an der Literatur ist ja, dass sie frei ist: Also hat sie auch die Freiheit, sich nicht nach meinen Vorstellungen von Literatur zu richten. Ich selbst nehme ja auch immer weniger Stellung zu laufenden politischen Fragen, schreibe kaum noch Essays und halte immer seltener eine Rede. Was ich zu sagen habe, sage ich in meinen Stücken. Im Augenblick schreibe ich gemeinsam mit Silke Hassler ein Stück mit dem Titel "Die Spekulantenkomödie". Diese Finanzverbrecher sind ja eine besonders ernst zu nehmende Gefahr, also wählen wir die Form der Komödie.

DIE FURCHE: Am Geburtstag, dem 26. September, wird der Film "Peter Turrini. Rückkehr an meinen Ausgangspunkt" erstmals gezeigt. Wo liegt Ihr Ausgangspunkt?

Turrini: Geographisch liegt er in diesem Ort in Kärnten, in Maria Saal, wo ich in den 1940er- und 1950er-Jahren aufgewachsen bin. Mein literarisches Leben begann ungefähr mit dem 14. Lebensjahr, da habe ich die ersten Gedichte und Stücke geschrieben, ich habe mich also in die Welt der Sprache geflüchtet, auch wenn sie bei mir damals eine Anhäufung von Dilettantismus war. Da mich damals eine ziemlich schweigende und aggressive Welt umgeben hat, habe ich mit ihr per Ausdenkung geredet. Und so ist es bis zum heutigen Tag geblieben.

Das Gespräch führte Julia Danielczyk

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