Mediale Kollateral-Schäden

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Auf die Vor-Verurteilung folgte der Vor-Freispruch. Obschon noch kein Gericht über die Vergewaltigungs-Anschuldigung gegen Dominique Strauss-Kahn entschieden hat, wurde er von manchen Medien bereits neuerlich als französischer Präsidentschaftskandidat gehandelt … - Es ist hoch an der Zeit, nach den Kollateralschäden zu fragen, die Medien-Tsunamis verursachen. Offenbar können Medien über Nacht mit vorschnellen Verdächtigungen Präsidentschaftskandidaten ebenso demontieren wie ganze Industriezweige ruinieren. Wegen ein paar EHEC-Opfern wird, wie zuvor schon beim Rinderwahn (kein einziger nachgewiesener Toter), bei SARS, Schweine- und Vogelgrippe, eine Epidemie ausgerufen. Es wird Angst geschürt, es wird bei Behörden hektische Aktivität ausgelöst, es werden Hunderttausende Tonnen Gurken vernichtet, und Politiker verschieben im Anschluss Millionen oder Milliarden Steuergelder - auf drei Nullen mehr oder weniger kommt es längst nicht mehr an.

Und weil die Redaktionen immer weiter schrumpfen, dagegen die PR-Apparate der Wirtschaft, der Regierungen und auch der Non-Profit-Organisationen munter wachsen, wird unser Gemeinwesen für interessengeleitete Inszenierungen immer anfälliger. Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, was sich tatsächlich in jenem Hotelzimmer in New York abgespielt hat. Und genauso wenig wird sich zurückverfolgen lassen, wer die anderen Medien-Tsunamis ausgelöst und wer von ihnen profitiert hat. Es ist überfällig, dass Journalisten uns genauer darüber informieren, woher sie ihre Nachrichten haben, und dubiose Quellen als solche kennzeichnen. Sie sollten uns wissen lassen, wie leicht sie selbst zu Opfern des Herdentriebs werden - und rechtzeitig über die ruinösen Folgeschäden nachdenken, die sie mit blindem Alarm auslösen können. Sonst gefährden sie die Pressefreiheit - und ihre eigene Existenzberechtigung.

* Der Autor ist Medienwissenschafter an der Uni Lugano/CH

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