wr. zeitung 1703 - © wikimedia

300 Jahre "Wiener Zeitung": Das Staats-Blatt

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Die Wiener Zeitung, vor 300 Jahren gegründet, firmiert als älteste Tageszeitung der Welt und feiert sich mit einer Jubiläumsausstellung in der Nationalbibliothek.

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Die Wiener Zeitung, vor 300 Jahren gegründet, firmiert als älteste Tageszeitung der Welt und feiert sich mit einer Jubiläumsausstellung in der Nationalbibliothek.

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Am 4. April 1764 berichtete das Wienerische Diarium, wie die Wiener Zeitung bis 1780 hieß, über ein Konzert, dass Leopold Mozart mit seinen Kindern Nannerl und Wolfgang Amadeus vor hoher adeliger Prominenz gab. Den kleinen virtuosen Wolferl sah die Zeitung damals schon als "ein Wunder". - Am 14. März 1848 verrieten drei Zeilen im amtlichen Teil der Wiener Zeitung, dass Fürst Metternich das Land verlassen hat. Am 29. Mai wird der Kaiseradler für einen Tag aus dem Zeitungskopf entfernt, um die Verbundenheit mit neuen Ideen zu demonstrieren. - Am 15. Mai 1955 berichtet eine Extra-Ausgabe von der Unterzeichnung des Staatsvertrages: "Österreich nach siebzehn Jahren endlich frei."

Alles Denckwürdige

Die Wiener Zeitung hat die Geschichte Österreichs im wahrsten Sinne des Wortes mitgeschrieben und gilt heute als die älteste Tageszeitung der Welt. Ein guter Grund, sich selbst zu feiern: Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek kann bis 4. Mai die Ausstellung "Zeiten auf Seiten - 300 Jahre Wiener Zeitung" besichtigt werden, in der Kurator Anton Knoll die Meilensteine aus der Zeitungsgeschichte zusammengetragen hat: Das erste Wienerische Diarium vom 8. August 1703 legte die Richtung fest, der das Blatt bis heute treu bleibt: Nämlich über "Alles Denckwürdige" aus Wien, aber auch "auß der gantzen Welt" zu berichten. Die ausgestellten Originale sind dank der von der Nationalbibliothek entwickelten "Wiener Methode" der Konservierung in besonders gutem Zustand: Durch diese Methode gelingt es, altes, holzhaltiges Papier, das rasch zerfällt, zu entsäuern und so zu konservieren. Außerdem kann der Ausstellungsbesucher die Bleilettern, Setzkästen und Winkelhaken bestaunen, mit denen Setzer die Wiener Zeitung bis 1983 setzten. Gestöbert werden kann in den mikroverfilmten Ausgaben des Blattes, mit modernen Computern kann jeder Besucher seine eigene Ausgabe zusammenbasteln.

Privilegierte Gazette

Alt, aber nicht weit hergeholt, ist der Vorwurf, die Wiener Zeitung sei stets Organ der Machthaber gewesen. Heute wird das Blatt von der Republik Österreich herausgegeben. "Das Verhältnis Staatsmacht und Wiener Zeitung hat von Anfang an auf 100-prozentiger Seriosität basiert", ist sich Wiener Zeitung-Geschäftsführer Karl Schiessl sicher. "Unsere Vorgänger haben seit 1703 auf so manche Darstellung verzichtet, die nicht eindeutig authentisch war, sich so manchen Kommentars enthalten, der nicht allen möglichen Aspekten gerecht wurde und Spekulationen strikt vermieden."

Tatsächlich gehörte die Wiener Zeitung von Beginn an zu den privilegierten Gazetten, die vom Hof sanktioniert waren. Die verschiedenen Machthaber haben sich die Macht der Zeitung zunutze gemacht - wenn auch in unterschiedlich starken Ausprägungen. Unter dem liberalen Joseph II. konnte die Wiener Zeitung 1789 den vollen Wortlaut der in Frankreich verkündeten Erklärung der Menschenrechte abdrucken. Als Wien 1805/ 06 und 1809 französisch besetzt war, missbrauchte Napoleon das Blatt als Organ der Besatzer. Unter Metternichs Zensurregime musste sich die Wiener Zeitung auf Weltpolitik und Kultur konzentrieren, um sich nicht in die heikle Innenpolitik einzumischen. Während der Revolution stand das Blatt für Pressefreiheit, musste sich aber - wie die Revolution selbst - einige Monate später der adeligen Obrigkeit fügen. 1872 übernahm der berühmte Journalist Friedrich Uhl, der von der Neuen Freien Presse kam, das Ruder und machte aus der Wiener Zeitung unter der Herrschaft Franz Josephs ein Medium, das mehr war, als ein bloßes Amtsblatt: Man konzentrierte sich auf Kunst und Kultur und pflegte ein ausgezeichnetes Feuilleton.

Heutiges Profil

Auch im 20. Jahrhundert blieb die Wiener Zeitung stets von der Macht kontrolliert, etwa im Ständestaat. Von 1940 bis 1945 stellten die Nazis das Blatt gänzlich ein, ab 1945 erschien es wieder.

Dass die Wiener Zeitung heute längst mehr ist als ein Amtsblatt, beweist das umfassende Bemühen, mit fundierter Berichterstattung und Sonderbeilagen zu punkten. Der Vorwurf, die Wiener Zeitung sei ein Blatt mit zu geringer Reichweite (Auflage: 22.000 Exemplare, Reichweite: 59.000 Leser), um öffentliche Informationen zu verbreiten, entgegnet Karl Schiessl: "Bereits seit fünf Jahren ist das Amtsblatt täglich weltweit online abrufbar". Mit der Internet-Plattform www.auftrag.at will man zudem Firmen maßgeschneiderte Infos zu Ausschreibungen vermitteln. Das neueste Projekt: "Wir bauen gerade die Plattform www.oesterreich.at auf", so Schiessl. "Sie soll als Einstiegsportal dienen, für alle, die etwas über Österreich wissen wollen."

Mehr im Internet: www.wienerzeitung.at, www.onb.ac.at

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