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Die verlorene öffentlich-rechtliche Keuschheit

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Auch in Österreich kommt nun endgültig die Zeit der Bundfunk- und Fernsehvielfalt. Unserem ORF erwächst daher immer mehr Konkurrenz. Sein weiterer Bestand steht aber außer Streit. Europäische Kulturstaaten verfügen eben über öffentlich-rechtliche Anstalten, und dies will auch die Europäische Union in ihren Wettbewerbsregeln absichern. Im Gegensatz zu den Privaten erfüllen nationale Institutionen einen besonderen Kultur-und Informationsauftrag. So wäre etwa kein kommerzieller Rundfunksender bereit und in der Lage, das anz ausgezeichnete und werbefreie !) Hörfunkprogramm Öl zu produzieren, das längst zu einer kulturellen Visitkarte unseres Landes geworden ist. Solches wird nur durch den Anspruch auf allgemeine Gebühren ermöglicht. Dem ORF stehen daneben Einnahmen aus der Werbung zur Verfügung, doch zieht das Gesetz hier für Umfang und auch Art der kommerziellen Werbung strikte Grenzen. Diese wurden zwar bereits mehrmals gelockert (bekanntlich herrschte an Sonn- und Feiertagen ursprünglich absolutes Werbeverbot), gelten aber immer noch in wesentlichem Umfang. So ist der schrecklichen Unsitte ein Riegel vorgeschoben, Spots mitten in Sendungen zu plazieren oder „Schleichwerbung” zu betreiben. Diese wird vom Gesetz so definiert, daß im Programm Waren gegen Bezahlung gezeigt oder erwähnt werden und die Allgemeinheit über den Zweck in die Irre geführt wird.

Leider muß man feststellen, daß der OBF diese gesetzlichen Beschränkungen immer unwilliger auf sich nimmt. Sein ganzes Verhalten erscheint immer stärker davon geprägt, im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf mit den privaten Anstalten auf die Weise bestehen zu können, daß er deren Verhalten kopiert. Das bedeutet vor allem, sich den Regeln der Jagd nach Einschaltquoten zu unterwerfen, denn diese bestimmen den Preis der Werbesekunden. Die damit eintretende Verfremdung des öffentlichrechtlichen Charakters zeigt deutlich sichtbare negative Folgen. Hochwertige Sendungen, mit denen man keine Firmengelder locken kann, werden in Zeiten verbannt, wo der Großteil der Seher und Hörer bereits zur Ruhe gegangen ist; die Geisterstunde soll zur Geistesstunde werden.

Viel zu wenig bewußt ist der Öffentlichkeit noch, daß unser ORF auch seine Keuschheit in Sachen Schleichwerbung längst verloren hat. Zwar hat man versucht, den Wildwuchs, der auf der Ebene der Sendungsmacher wucherte, zurückzudrängen, aber es kommt nach wie vor zu einer unzulässigen Vermischung jener Sendeinhalte, die redaktionell geboten sind mit solchen, die gegen Bezahlung ausgestrahlt werden.

„Product placement” nennt man verschämtbeschönigend das überdeutliche Erwähnen oder Herzeigen von Firmen beziehungsweise deren Angeboten in den Sendungen des ORF. Durch derartige Werbung werden mittlerweile Hunderte Millionen Schilling eingenommen, doch es wird von den Verantwortlichen behauptet, daß sie nicht unter die vom Gesetz erlassenen Beschränkungen falle. Dabei treten uns hier genau jene negativen Begleiterscheinungen, die der Gesetzgeber regulierend in den Griff bekommen wollte, besonders aufdringlich entgegen: Der Medienkonsument bleibt im unklaren, was Informationswert für ihn oder nur Geldwert für den OBF hat.

Es drängt sich die Frage auf, warum niemand in der Lage ist, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Generalintendant Zeiler scheint es gelungen zu sein, alle politischen Instanzen innerhalb und außerhalb des ORF davon überzeugt zu haben, daß sein Unternehmen nur dann eine Überlebenschance hat, wenn es immer mehr kommerzialisiert wird. Der Verband der Zeitungen versuchte -bisher ohne Erfolg - mit einem Verfahren bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes gegen die entstandene Verzerrung auf dem Werbemarkt anzukämpfen. Die Pflicht, der eingetretenen Fehlentwicklung entgegenzutreten, hätte auch die nach dem Rundfunkgesetz errichtete Hörer- und Sehervertretung. Warum sie das nicht in energischer Form tut, bleibt unerfindlich. Es ist zu vermuten, daß sie ihrem Namen deswegen keine Ehre macht, weil ihre Mitglieder sich den gleichen politischen Kräften verpflichtet fühlen, die überall das Sagen haben und daher hinsichtlich des ORF nur unternehmensbezogen, aber nicht publikumsorientiert denken. Das wird sich erst ändern, wenn sich die Hörer und Seher selbst „auf die Füße stellen”. Allzusehr liegt solches freilich den Österreichern nicht. Daher werden wir-so steht zu befürchten - noch lange wehrlos einem wachsenden staatlichen Medienkapitalismus ausgesetzt sein.

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