Fernsehen am Wendepunkt
Die Konkurrenz durch kommerzielle Sender machte der British Broadcasting Corporation (BBC) Druck, und steigerte so die Qualität ihrer Sendungen.
Die Konkurrenz durch kommerzielle Sender machte der British Broadcasting Corporation (BBC) Druck, und steigerte so die Qualität ihrer Sendungen.
Als im Jahre 1956 das kommerzielle Fernsehen in Großbritannien seine Sendungen begann, sagten viele ein Absinken des Niveaus der Fernsehsendungen voraus. Nach dem Erfahrungsgrundsatz, daß sich das Schlechte leichter durchsetzt als das Gute und letzten Endes sogar das Gute vertreibt, erwartete man eine Verschlechterung der Programme. Kurz gesagt: man war der Meinung, daß, wenn einmal die große Masse ihre eindeutige Vorliebe für leichte Unterhaltung zum Ausdruck gebracht hat, es niemand mehr wagen werde, etwas Besseres anzubieten. Eine Zeitlang schien es, als ob die Pessimisten mit ihrer Voraussage recht behalten würden. Nach einem ziemlich zaghaften Beginn gelang es dem kommerziellen Fernsehen sehr bald, sich ein Publikum zu sichern, das mit einer Kost, gemischt aus leichter Unterhaltung, Wildwest- und Kriminalfilmen, Quizsendungen sowie belangloser Musik und Dichtung, zufrieden war. Allerdings erkannten schon bald die Verantwortlichen des kommerziellen Fernsehens, ebenso wie ihre Kollegen von der BBC, die Gefahr einer solchen Verflachung der Programme, und seit 1958 hat sich hier allmählich eine interessante Veränderung ergeben.
Mehr Qualität dank Konkurrenzdruck
Nachdem sich die BBC von dem durch den Verlust einer beträchtlichen Anzahl von Hörern ausgelösten Schock erholt hatte, nahm sie den Wettkampf mit dem kommerziellen Fernsehen auf, teilweise allerdings noch mit Programmen, die sich wenig oder gar nicht von denen des kommerziellen Fernsehens unterschieden, teilweise aber auch dadurch, daß sie konsequent an der Qualität ihrer Sendungen festhielt und den Hörern in ihren Abendprogrammen zu den Sendungen der Konkurrenz eine etwas anspruchsvollere Alternative bot. Die interessante Reaktion des kommerziellen Fernsehens hierauf war die Entwicklung einer verantwortungsbewußten, aktuellen und objektiven Berichterstattung. Mit der Einführung neuer Sendungen, die dazu bestimmt waren, die Gegenwart zu beleuchten und unsere Zeit in allen ihren Aspekten zu erhellen, hob sich das Niveau der Sendungen des kommerziellen Fernsehens. Sie wurden vielseitiger, ausgewogener, und stellen für die BBC eine sehr ernst zu nehmende Konkurrenz dar.
Der lang erwartete Bericht des Filkingten-Ausschusses über das Fernsehen fiel für das kommerzielle Fernsehen ziemlich ungünstig aus und brachte für die BBC die Möglichkeit, im nächsten Jahr (1964) ein zweites Programm im 62 5-Bildzeilen-System einzuführen. Zweifellos bedeutet dies für die BBC gegenüber dem kommerziellen Fernsehen einen großen Vorteil, der ihr die Möglichkeit bietet, die Konkurrenz mit deren eigenen Waffen zu bekämpfen und demjenigen Fernsehpublikum, das an leichten Unterhaltungssendungen keine Freude hat, eine Alternative zu bieten. Das neue zweite Programm der BBC wird aber auch dazu führen, daß das kommerzielle Fernsehen darum kämpfen muß, sein Publikum nicht zu verlieren, und dieser Wettstreit wird sich auf die Qualität der Sendungen hoffentlich günstig auswirken. Optimismus ist hier ohne weiteres berechtigt, denn es hat sich im Lauf der Zeit gezeigt, daß das Publikum die „Berieselung“ mit leichter Unterhaltung satt hat und sich nach Qualität sehnt.
Ein Blick hinaus in die Welt
Abgesehen von den Dokumentarsendungen und aktuellen Reportagen, entwickelt das Fernsehen eine zweifache Funktion: einerseits ist es ein Forum alter und moderner Kunst; anderseits ist es ein Periskop, das es dem einzelnen von seinem begrenzten Standpunkt aus ermöglicht, den weitgespannten Horizont unserer heutigen Welt zu überschauen. Gegenwärtig laufen mehr aktuelle und kommentierende Sendereihen als je zuvor. „Panorama“, die älteste aktuelle Sendereihe der BBC, hat zwar mehrmals den Sendeleiter gewechselt und kämpfte zeitweise mit Schwierigkeiten, bringt jedoch häufig Berichte von hervorragender Aktualität. Dieser Sendung stellt das kommerzielle Fernsehen eine ähnliche gegenüber, die sich „This Week“ nennt, dazu noch eine Sendereihe neueren Datums, die bestrebt ist, die Hintergründe politischer Entscheidungen zu beleuchten und den Titel „Decision“ trägt, und schließlich „World in Action“, eine äußerst lebendige und vielseitige aktuelle Sendereihe, die man nicht ganz zu Unrecht als das Fernseh-Äquivalent zu der Hamburger Wochenzeitung „Der Spiegel“ bezeichnen könnte.
Zwischen diesen vier Sendereihen besteht, obwohl sie an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Zeiten gesendet werden, ein lebhafter Wettbewerb, weniger um den Gewinn von Hörern, als um das Prestige, die aktuellste Sendung zu sein. Sie werden ergänzt durch die „Gallery“ der BBC, eine Sendung, die ausschließlich politischen Charakter hat, was sich manchmal als ein Handicap erweist; ferner „Roving Report“, eine Sendereihe der Independent Television News, die unermüdlich in der ganzen Welt auf Jagd nach Problemen und deren Ursache ist; sowie die tägliche Sendung der I.T.N., „Date-line“, eine hochaktuelle Sendung um 23.10 Uhr, die den Versuch unternimmt, einzelne Tagesnachrichen zu analysieren und zu kommentieren. Die bekannte BBC-Sendereihe „Tonight“ hat nach wie vor an fünf Abenden in der Woche ihr zahlreiches und treues Publikum. Das Gegenstück hierzu ist die Sendung „Here and Now“ des kommerziellen Fernsehens, die allerdings nicht ganz so gut ist, wie ihr Name verspricht.
Die BBC hat derzeit außerdem eine zweiwöchentliche Sendereihe laufen, „This Nation Tomorrow“, die sich mit einer Analyse der gegenwärtigen Lage und der Zukunftsaussichten befaßt und eine fast schon pathologisch anmutende Tendenz aufweist, die Lebensweise der Briten zu kritisieren. Auf der Kulturseite finden wir eine entsprechende Fülle von seriösen Sendereihen, ergänzt durch gelegentliche Sondersendungen. Die BBC-„Monitor“-Sendung liebäugelt nach wie vor mit den verschiedenen Aspekten zeitgenössischer Kunst, Musik und Architektur. Je bizarrer und extravaganter die Aufführung oder das Kunstwerk, desto besser gefällt es dem Monitor, der es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht hat, den jüngsten Manifestationen des Zeitgeistes eher voranzueilen, als die Rolle des Arbiters und Kritikers zu übernehmen. Auch diese Sendung hat ein entsprechendes Gegenstück im kommerziellen Fernsehen. Sie nennt sich „Tempo“, ist nicht zu groß aufgezogen, wird aber mit viel Ehrgeiz produziert. Die Welt der Literatur wird von der BBC-Reihe „Bookstand“, einer erstklassigen kritischen Sendung, kommentiert, die nur den Fehler hat, mit geringen Mitteln und kurz bemessener Sendezeit, auskommen zu müssen. Im kommerziellen Fernsehen hat in letzter Zeit Sir Kenneth Clark mehrere aufschlußreiche Vorträge über die großen Meister der Malerei und Skulptur — einer der letzten war Michelangelo gewidmet — gehalten, die an Brillanz, Klarheit und tiefem Verständnis des Vortragenden alles übertrafen, was die BBC auf diesem Gebiet bisher bieten konnte.
Wilder Westen und Krimis
So viel über die mehr oder weniger seriöse Berichterstattung. Natürlich ist das Fernsehen noch zu einem Großteil auf die leichte Unterhaltung einschließlich der Quizsendungen und Rätselspiele angewiesen, obwohl ihre Beliebtheit anscheinend im Schwinden begriffen ist. Wildwestfilme, Kiminalstücke un , Ähnliches bilden noch immer einen festen Bestandteil des Fernsehprogramms. Ab und zu werden Kurzopern oder Ballette gesendet, die meistens ganz ausgezeichnet sind, und manchmal bereitet das Feinsehen seinem Publikum auch eine Übeiraschung, so beispielsweise kürzlich, als die kommerzielle Fernsehgesellschaft „Associated Rediffusion London“ ihre Zuschauer mit einer ausgezeichneten Aufführung der „Elektra“ von Sophokles in neugriechischer Sprache erfreute.
Wie steht es aber mit den Theatersendungen, die von vielen als unentbehrlicher und bleibender Bestandteil des Fernsehens betrachtet werden? Der Autor teilt allerdings diese Meinung nicht, sondern ist eher der Ansicht, daß das Fernsehen hauptsächlich eine journalistische Aufgabe von unerreichter Vielseitigkeit und größtem Einfluß zu erfüllen hat, obwohl es allerdings wohl auch zutrifft, daß der Großteil des Fernsehpublikums die Theatersendungen allen anderen vorzieht. Aber gerade auf dem Gebiet des Theaters hat das Fernsehen gegenwärtig die größten Schwierigkeiten, da es an Material fehlt. Es gibt einfach nicht genug gute junge Bühnenautoren. Die Unersättlichkeit des Fernsehens ist allgemein bekannt; es wäre naiv, zu erwarten, daß das Fernsehen das Wunder einer unerschöpflichen Schaffensfreude und -kraft unter den Bühnenautoren auslösen könnte, wenn dies selbst dem Theater nicht gelungen ist.
Dieser Mangel führte dazu, daß jeder Autor, der irgendeine dramatisierte Fassung eines Textes — häufig auch nur einen autobiographischen Sketch — schrieb, als neues Genie akklamiert wurde. In den Jahren nach 1955 wurde England von der Welle der „Bassena'-Stücke erfaßt, ein Typ von Fernsehstücken, der in Wirklichkeit nichts anderes ist, als eine adaptierte Aneinanderreihung von Tonbandaufnahmen. Es mehren sich aber die Anzeichen, daß das Publikum von dieser Art der Unterhaltung genug hat — leider aber besteht derzeit keine Hoffnung, daß damit auch die Zahl der Autoren, die gute Stücke schreiben können, zunimmt.
Der kürzlich neu verpflichtete Dramaturg der BBC, Sidney Newman, der die „Bassena“-Stücke während seiner Tätigkeit als Dramaturg des ABC Armchair Theatres populär machte, hat schon seine Besorgnis darüber geäußert, daß es nach dem Anlaufen eines zweiten Fernsehprogrammes noch schwieriger sein werden wird, genügend neue und gute Autoren zu finden. Er rechne damit, daß man sich nur dadurch wird helfen können, daß man Material, das ursprünglich für ein anderes Medium gedacht war, also Romane, Bühnenstücke usw., für das Fernsehen bearbeitet. Es muß nicht extra betont werden, daß das Fernsehen stets zu einem Großteil auf solches „bearbeitetes“ Material angewiesen war und sich dessen auch nicht zu schämen braucht.
Literatur am Fernsehbildschirm
Dickens zum Beispiel und Shakespeare haben sich stets als Fundgruben für das Fernsehen erwiesen.Auch die kommerziellen Gesellschaften schöpfen die klassischen Quellen nach Kräften aus. Shaw, Somerset Maugham, J. B. Priestley und „Saki“ kommen zu Wort, mit wechselndem, aber im großen und ganzen zufriedenstellenden Resultaten. Merkwürdig wenig werden Hugh Walpole, John Galsworthy und G. K. Chesterton („Father Brown“) oder etwa Francis Brett Young verwendet. Von D. H. Lawrence wurde bisher nur eine Novelle dramatisiert, jedoch bietet sein Werk sowie das literarische Schaffen der Dichter Arnold Bennett und H. G. Wells noch große Möglichkeiten.
Es ist zu erwarten, daß die Schriftsteller dieses „goldenen literarischen Zeitalters“ schon recht bald von den Dramaturgen der Fernsehgesellschaften entdeckt werden, und das bedeutet, daß sie nur wenig später auch vom Fernsehpublikum neu entdeckt werden. Eine der erfreulichsten Folgen des Fernsehens ist die Tatsache, daß, entgegen allen Erwartungen, die Lesefreudigkeit des Publikums nicht nur nicht abgenommen, sondern im Gegenteil sogar zugenommen hat. Sobald ein Roman im Fernsehen in dramatisierter Fassung, besonders in Form einer Sendefolge, gesendet wird, schnellt sofort die Nachfrage nach dem Original hinauf. Das mag als ein weiterer Hinweis dafür dienen, daß das Fernsehen mehr ist als nur ein Schaukasten, vor dem die Fernsehfans Stunde um Stunde verbringen, sondern daß es sich bei der Television um das wirkungsvollste und spannendste Bildlingsmittel aller Zeiten handeln kann, wenn es richtig ausgewertet wird.