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„Gemma Schülavazahn...“

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Heinrich Drimmel hat in der „Furche“ (Nr, 43, vom 24. Oktober 1970) darauf hingewiesen, daß die von Nenning und anderen betriebene Kampagne für die Abschaffung des Bundesheeres nur als Etappenziel einer Aktion anzusehen ist, die viel mehr bezweckt: nämlich den totalen revolutionären Umsturz in Österreich. So lächerlich übertrieben sich das auf den ersten Anblick liest, so wahr erweist es sich, wenn man gewisse andere, in Nennings Zeitschrift „Neues Forum“ in letzter Zeit hervortretende „Schwerpunkte“ analysiert — Einer davon ist schlicht und einfach Pornographie. Nun hat es Nenning wieder geschafft, sich zum Märtyrer zu machen, den das Establishment verfolgt — das „Neue Forum“ wurde verkaufsbeschränkt. Würde es nicht unbeweisbar sein, könnte man annehmen, Nenning habe die Maßnahme gegen seine Zeitung selbst betrieben. Er wird es — wir können das heute schon garantieren — wieder schaffen, vom Fernsehen interviewt zu werden, er wird wieder in gewissen Zeitungen Schlagzeilen machen.

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Heinrich Drimmel hat in der „Furche“ (Nr, 43, vom 24. Oktober 1970) darauf hingewiesen, daß die von Nenning und anderen betriebene Kampagne für die Abschaffung des Bundesheeres nur als Etappenziel einer Aktion anzusehen ist, die viel mehr bezweckt: nämlich den totalen revolutionären Umsturz in Österreich. So lächerlich übertrieben sich das auf den ersten Anblick liest, so wahr erweist es sich, wenn man gewisse andere, in Nennings Zeitschrift „Neues Forum“ in letzter Zeit hervortretende „Schwerpunkte“ analysiert — Einer davon ist schlicht und einfach Pornographie. Nun hat es Nenning wieder geschafft, sich zum Märtyrer zu machen, den das Establishment verfolgt — das „Neue Forum“ wurde verkaufsbeschränkt. Würde es nicht unbeweisbar sein, könnte man annehmen, Nenning habe die Maßnahme gegen seine Zeitung selbst betrieben. Er wird es — wir können das heute schon garantieren — wieder schaffen, vom Fernsehen interviewt zu werden, er wird wieder in gewissen Zeitungen Schlagzeilen machen.

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Einer der Schwerpunkte ist, schlicht und einfach, Pornographie. Man mag es dem Herausgeber der Zeitschrift nachfühlen, daß auch er ein wenig an den Umsätzen teilhaben möchte, die durch die derzeitige Überschwemmung des Zeitschriften- und Büchermarktes, und auch des Theaters, mit pornographischer Literatur erzielt werden. Zum Unterschied von den meisten anderen Lieferanten, welche es sich genügen lassen, den Stoff ohne viel Theoretik anzubieten, legitimiert sich das „N. F.“ mit einem nicht unbekannten Taschenspielertrick, bei dem das Eintreten für die Abstaubung und Erneuerung absoluten Standards zur Aufrechterhaltung von Moral und Anstand durch Erziehung, Justiz und so weiter, mit dem Eintreten für die freie Verbreitung obszöner und pornographischer Darbietungen und Literatur vertauscht wird. Nicht wenige wohlmeinende Leute fallen auf diesen Trick herein. So mußte sich sogar der Generalprokurator der Republik

Österreich gefallen lassen, den Para-vent für Nennings „Durchbruch“ dadurch abzugeben, daß vor dem pornographischen und übrigens auch (glückliche Mischung!) gotteslästernden Werk des Marquis de Sade seine liberalmiild-diszernierende Stellungnahme abgedruckt wurde.

Man würde jedoch Nenning unrecht tun, würde man ihm unterstellen, daß es ihm nur um erhöhten Absatz seiner Zeitschrift gehe. Höchstens ist es dabei an dem, daß bewiesen werden soll, wie sehr auch die Subversion einer Gesellschaft rentabel sein kann. Der Dichter G. P. Elliott hat zu dem Thema vor einiger Zeit recht einleuchtende Gedanken veröffentlicht (in „Writers and Issues“, New American Library, Vlg. „Signet“):

„Pornographie gleicht einem miesen kleinen Land, das seine Unabhängigkeit einem historischen Zufall, kaum mehr, verdankt... Die Meinung, daß die Veröffentlichung von Pornographie nicht beschränkt werden sollte, war zeitweise dem doktrinären Liberalismus eigen; zu gewissen Zeiten jedoch — und so auch heute — wird Pornographie zum Hilfsmittel eines zerstörerischen Nihilismus. An sich ist Pornographie die derart brüske Darstellung direkt oder indirekt erotischer Handlungen, daß durch Ausbleiben jedweder, oder nötiger, ästhetischer Berichtigungen der (man verzeihe das altmodische aber nichtsdestoweniger noch immer gültige Wort) Anstand verletzt werden muß. Psychologisch kommt der von der Pornographie in unserer Kultur bewirkte Schaden dadurch zustande, daß sie das Bedürfnis, den Anspruch und das Recht des einzelnen auf Separatheit, Individualität und Privatheit verletzt. Das geschieht so: Es gibt so etwas wie die Notwendigkeit einer mittleren Distanz, von der aus die Menschen aufeinander blicken können; diese Distanz kann zwar variabel, sie muß jedoch trotzdem immer vorhanden sein. Sie ist nötig für Anstand, Kunst und Gesellschaft, damit die Menschen, die einander betrachten, einander definieren können. Aus dieser Entfernung kann der Mensch ganz gut, bedeutemd, manches Mal sogar schön und achtenswert aussehen. Hebt man jedoch diese Entfernung auf, dann nimmt man den Menschen die Möglichkeit, einander so zu sehen und trägt damit auf nicht unwesentliche Weise zur Zerstörung der Gesellschaft bei.“

Ausschweifung und Perversion hat es im Leben der Menschen zu allen Zeiten — und durchaus nicht nur in solchen des gesellschaftlichen Niederganges — gegeben. Gefährlich wurde es nur, wenn solche Erscheinungen verallgemeinert, glorifiziert wurden, und im von Elliott beschriebenen Sinn als Pornographie die Erträglichkeit und Achtung der Menschen voreinander ideologisch zersetzten. Gewiß, vieles kommt diesen zerstörerischen Vorgängen aus der kulturellen Krise unserer heutigen Gesellschaft entgegen. Diese Krise ist jedoch partiell, nur kulturell, freilich auch moralisch, und das in einem viel weiteren als nur erotischen Sinne. Sie ist die große Schattenseite eines ökonomischen, sozialen und wissenschaftlichen Fortschritts, wie es noch keinen von so allgemeiner Bedeutung je gegeben hat. Noch nie vorher sind die Menschen so sehr imstande gewesen, so viel füreinander zu tun, und noch nie haben sie einander und voneinander so wenig zu sagen gewußt. Verbleibt einer rebellierenden Jugend der Abhub der in der Mottenkiste der Ideengeschichte gelandeten großen Ideologien, der Drang zurück zur politischen und ideellen Romantik. Über ihre — wie jeder Romantik — Unzulänglichkeit sollen hinweghelfen: Ekstatik, Orgiastik und somit auch die so oft hiefür nötigen Stimu-lantien: Pornographie, Drogen. Auch die letzteren werden im „Neuen Forum“, im Inserat der „Anti-Seller-Liste“, als „bewußtseinserweiternd“ und im Kommentar zur Sade-Porno-Serie mit den Worten angepriesen: „Wenn wir Heutigen etwa unsere

Berührungssensibilität steigern wollen, nehmen wir LSD, und es geschieht das Gewünschte. Sade mußte jahrzehntelang im Gefängnis dafür büßen“ (weil er ein Mädchen mit Kanthariden vergiftet hatte). Heute wird jemand schwerlich dafür eingesperrt, daß er junge Menschen publizistisch vergiftet, wie etwa durch die unter dem Titel „Wir brauchen Exzesse“ im „Neuen Forum“ veröffentlichten Theorien eines Hermann Nitsch für ein Orgientheater, in welchem durch entsprechende Akte auf der Bühne „kathar-tische Abreaktionen“ der Zuschauer entstehen sollen, „die sich bis zu sado-masochistischer Aggression und Destruktion, zu einem Rausch von Grausamkeit und Wollust steigern, der sich bis zur Lust zu töten, ver>-gessen könnte“.

Derlei Sätze wie auch die ganze „Theoretik“ des Herrn Nitsch erhalten höchste Billigung von seiten der Redaktion des „N. F.“ mit Worten wie: „... so wäre es höchlich Zeit, eine Arbeit, die in solcher Erkennte nis ihre Aufgabe sieht, zumindest (!) anzuerkennen, wenn nicht ihr mit Achtung zu begegnen ...“

Die Bedeutung solcher Theoretik und ihrer Billigung vor einem in zunehmendem Maße vorwiegend aus Jugendlichen bestehendem Leserpublikum soll nicht unterschätzt werden angesichts des Ausmaßes von Gewalttaten oft nur winziger „Aktionsgruppen“ zumeist jugendlicher Fanatiker — wie etwa zuletzt in Kanada, Südamerika und im Nahen Osten. Es mögen die „Ansatzpunkte“ für deren Aktivitäten oft offensichtlicher, historisch und sozial näherliegend sein als etwa in Österreich, das von 1918 bis 1945 seine Portion an politischer 'Gewalttätigkeit im Uberfluß erhalten hat. Nichtsdestoweniger kann auch bei uns — bei so versierter Indoktrination durch mit mehreren Doktortiteln ausgestatteten und derzeit von nicht weniger als acht Hochschulprofessoren durch Aufscheinen als „Redaktionsbeirat“ weniger moralisch als statutarisch gestützte Rattenfänger — so etwas plötzlicher kommen, als man glaubt. Es fehlt auch hier nicht an seelisch gestörten, gleichgewichtslosen Neurotikem unter der Jugend, die einer geeigneteren Betreuung bedürften als jener durch Nenning und Konsorten. Ihnen stehen — wie aus einem jüngsten Artikel zur Verherrlichung der neuen Assassinen Arabiens hervorgeht — nicht nur Vorzugsplätze in den Spalten des „Neuen Forum“, sondern auch dessen Redaktionsräume und technischer Apparat für ständige Selbstaufheizung „politischer Aktivität“ zur Verfügung. Der Herausgeber der Zeitschrift hat seinen ganzen Einfluß geltend gemacht, um einem dieser armen Burschen zu einer Märtyrergloriole als Opfer der bösen Justiz zu verhelfen. Seine Motive? Einen nicht uncharakteristischen Hinweis erhielten wir, als Nenning unlängst im Fernsehen die Frage, warum er die Abschaffung des Bundesheeres betreibe, mit dem Satz zu beantworten anhob: „Es reizt mich...“ Andere an der Kampagne Beteiligte lassen angesichts häufiger Gastaufenthalte in den Ostblockstaaten andere Motivationen erkennen. Schwieriger ist es, diejenigen der acht Hochschulprofessoren und anderer anständiger Leute, die im Aushängeschild der Zeitschrift aufscheinen, zu erkennen. Wenn sie es tun, um sich den Ruf von Fortschrittlichkeit und politischer Weitherzigkeit zu verschaffen oder zu erhalten, dann wird ihnen das, wie die Fälle Marcuse, Adorno, Horkheimer und anderer, und die ganze Entwicklung in der BRD beweisen, auf die Dauer nichts nützen angesichts eines Trends, der von einem seiner Vorläufer, dem russischen Anarchisten Alexander Herzen (niemals seine Herkunft als Bastard eines Aristokratien vergessend) definiert wurde: „An allem sich rächen, alles zerstören, vernichten, auch das, was den Geist erhebt, auch die Wissenschaft und die Kunst.“ Nicht ungefährlich, doch gewiß nicht unwiderstehlich, wenn Sympathie für Kommendes, Neues sich nicht dem Fraternisieren mit der Destruktion, der Immaturität, mit dem ideologischen und faktischen Gangstertum ergibt. Und auch nicht, wo ein schlechtes Gewissen wegen eigenen Wohlstands in einer Welt von immer noch viel Not und Unrecht sich bessere Sublimierung verschafft, als es die Absicht wäre, jenen freien Lauf zu lassen, die der Welt nichts Besseres, ja zufolge ihrer wirklichen eigenen Ratlosigkeit nur die Gewalt als Leitsatz und Methode anzubieten haben.

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