Hugo Portisch - © Foto: Heinz Nußbaumer

Hugo Portisch – Nahaufnahme

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Der mit Abstand wichtigste Journalist und Geschichtslehrer Österreichs hat mit 94 Jahren Abschied genommen – die Trauer darüber hat ganz Österreich erfasst. Ein persönlicher Nachruf von FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer.

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Der mit Abstand wichtigste Journalist und Geschichtslehrer Österreichs hat mit 94 Jahren Abschied genommen – die Trauer darüber hat ganz Österreich erfasst. Ein persönlicher Nachruf von FURCHE-Herausgeber Heinz Nußbaumer.

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Es ist Donnerstag der Vorwoche, genau 13.47 Uhr, als der Anruf der Ärztin kommt: „Hugo Portisch ist eingeschlafen!“ Die Nachricht verändert sekundenschnell alles: meinen Tag, meine allerletzten Hoffnungen, mein enges Beziehungsgeflecht. Vier Menschen verdanke ich viele Lebensprägungen, sage ich gerne: Kardinal Franz König, Kinderdorf-Vater Hermann Gmeiner, dem Forschungsreisenden Heinrich Harrer und Hugo Portisch, ihm am meisten und längsten. Jetzt hat auch er Abschied genommen. Nie wieder wird eine neue Freundschaft so intensiv sein können.

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Vier Stunden später stehe ich vor ORF-Kameras – naiv vermutend, ich müsste den „ZiB“-Sehern im Telegrammstil das ganze Ausmaß des Verlustes beschreiben: Portisch, der große Journalist und Volksbildner, der Geschichtslehrer der Nation und Initiator des unabhängigen ORF, der leidenschaftliche Europäer und Weltbürger. Bald aber ist klar: Ob Staatsspitze, Historiker, Kollegen … – alle sagen dasselbe. Der Peinlichkeit aber, mich als Hugos enger Freund aufzudrängen, wollte ich entgehen.

Sendung um Sendung folgt an diesem Abend. Gestresst und erschüttert schaue ich in Kameras und spüre langsam das Ausmaß der Betroffenheit, die ganz Österreich erfasst hat. Stunden später, im Taxi nach Hause, verfolgt der Fahrer meine Telefonflut und meint: „Wollen Sie nicht einfach abdrehen?“ Nein, ich will es nicht. Denn in die Trauer mischt sich ein Stück Hoch gefühl: Aus dem Beileid so vieler wird das Ausmaß von Respekt und Dankbarkeit spürbar.

Was für ein Lebensbogen!

Eine Woche ist seither vergangen, in den Medien war sie randvoll mit Portischs Leben und Wirken:

– Mit dem Drama seiner Kindheit und Jugend: Krieg, Verlust der alten Heimat Preßburg, Flucht vor dem Zugriff des NS, Studium in Wien und Hochzeit mit seiner Traudi. Daneben der Start in den Journalismus unter Besatzungsbedingungen und das prägende Erlebnis einer freien und doch nicht unabhängigen Presse Amerikas. Das Entstehen der heimischen Medienlandschaft – und bald das Abenteuer Kurier.

– Dann sein wachsender Einfluss im jungen, demokratisch noch nicht gefestigten Österreich, das Rundfunk-Volksbegehren, der „Fall Borodajkewycz“ und der beispielhafte Erfolg, aus seiner Zeitung ein Massenblatt von beispielhafter Qualität zu gestalten.

– Schließlich seine Weltreisen, die großen Zeitungsserien, TV- Dokumentationen, Bücher und Exklusivgespräche. Überall dabei: Vietnamkrieg und US-Atombunker, Kuba und Afrika, China und UdSSR, Trump und Putin. Wie oft habe ich als junger Journalist miterlebt, wenn Diplomaten zu ihm kamen, um seine Erfahrungen an ihre Regierungen weiterzugeben. Wie oft durfte ich bald in seinem Auftrag hinausfahren – in Kriege und Krisen, zu Friedenskonferenzen und großen Interviews. „Dabei sein und nachprüfen, was wahr ist“, das war sein Credo, ein vielfach verlorenes Prinzip. Und wie stolz war ich dann, wenn mir seine Kontakte die Türen zur Welt geöffnet haben!

Hugo Portischs drei Kernaufgaben waren: Aus der Geschichte lernen. Gegen Vorurteile kämpfen. Und zur Toleranz erziehen.

Heinz Nußbaumer

Als er mich 1967 in den Nahostkrieg schickte, meine erste Begegnung mit Tod und Zerstörung, spürte Portisch meine Angst. Aber er hatte schon mit dem befreundeten Chef der 6. US-Flotte im Mittelmeer gesprochen, um mich herauszuholen, sollte das damals kleine Israel gegen Arabiens Übermacht untergehen. Es kam dann ganz anders – und die Verlierer luden bald zu einer Pressereise, „aber nicht den Nußbaumer“. Da kannten sie den Kurier-Chef schlecht: „Ja, gerne“, ließ er wissen, „aber nur den Nußbaumer!“

Was lernte ich in jenen Jahren alles von ihm! Als Gegenleistung für ein Exklusivinterview mit Israels Regierung war ich knapp daran, einem dortigen Agenten auf den Leim zu gehen. Nie mehr später erlebte ich meinen Chef so streng: „Kein Geschäft mit einem Geheimdienst – niemals! Es ist der Anfang vom Ende journalistischer Freiheit!“ Aber auch wehe, ich hätte ihn jemals des Nachts, egal wie spät, bei einem aktuellen Ereignis nicht geweckt! Und: Ohne kritisches Gegenlesen kam kein Text in die Zeitung.

Als die Inserate „starben“

Unvergesslich so vieles: Als Robert Kennedy 1968 ermordet wurde, stand ich in der Setzerei und gestaltete die Aufmacherseiten. Da kam Portisch und warf alle Inserate aus dem Blatt. Seinem Eigentümer schrieb er später entrüstet: „Sie als Herausgeber einer Inseratenzeitung mit gelegentlichen redaktionellen Beiträgen …“ Was haben wir diskutiert und auch gelacht: Während der Vietnam-Friedenskonferenz erzählte er mir auf den Pariser Champs- Élysées von seinem Treffen mit Hanois Außenminister. Wo ihm das Wort nicht reichte, kamen die Hände ins Spiel – bis die Film dose mit seinem Bericht zu Boden fiel und der noch nicht entwickelte Filmstreifen den Weg hinunterrollte, rollte und rollte …

Die Ressortgrenzen zwischen Außen- und Innenpolitik ließ Portisch nicht gelten und schickte mich oft zur Berichterstattung ins Parlament. Nichts war ihm so sehr fremd wie ein Versinken in Provinzialität und Nabelbeschau. Und so wuchsen auch seine größten bleibenden Verdienste aus dieser Haltung: die ORF-Reform aus dem täglichen Vorbild der britischen BBC – und unsere Mitverantwortung für Krieg und Diktatur aus dem Versuch, der europäischen Geschichte gerecht zu werden. Seine drei Kernaufgaben jedes verantwortungsbewussten Journalismus hat er uns tief ins Herz gesenkt: „Aus der Geschichte lernen. Gegen Vorurteile kämpfen. Und zur Toleranz erziehen.“

Unglaublich, was jetzt alles seinen Tod überlebt: Film- und Textarchive, die es zuvor nicht gegeben hat. Wichtige Bücher, zum Teil in vielen Sprachen erschienen. Ein Schatz an historischen Dokumentationen, die kein Zweiter auf diesem Niveau hinterlassen hat. Auch abertausende Leitartikel. Vor allem aber einen Geist und eine Liberalität, die Österreich verändert haben. So hat Hugo Portisch „Geschichte geschrieben“, im doppelten Wortsinn.

Das Alter hat uns immer mehr zusammengeführt, zumindest an einem Tag pro Woche; redend, feiernd, auch lesend, was der andere zu Papier gebracht und noch nicht veröffentlicht hat. Hugo P. blieb bis zuletzt ein enorm dankbarer und wohlmeinender Mann. Um seine Landsleute zu ermuntern, ließ er sich noch zuletzt beim Impfen filmen, als sich viele Bewunderer schon um ihn Sorgen machten. Und bis in die allerletzten Wochen überlegten wir noch ein Buchprojekt, das seinen Lebensbogen runden würde: „Mein Österreich“. Gemeinsam wollten wir unsere Erfahrungen einbringen.

Rückkehr in die Stille

Es lag nicht nur an seinem Hörverlust, dass er immer stiller wurde. Lächelnd lauschte er Besuchern, die ihm aus ihrer Welt erzählten – und dabei oft vergaßen, wie randvoll Hugo Portischs eigene Scheunen der Erinnerung und seiner täglichen Lektüre noch immer waren und wie entschlossen und fähig er war, das Eigene zurückzuhalten. Nie habe ich ihn in dieser belasteten Zeit unduldsam oder altersstarr erlebt. Vier Tage vor dem Umzug ins Krankenhaus haben wir noch fröhlich seinen 94. Geburtstag gefeiert. Auf den Abschied war er vorbereitet und erwartete ihn ohne Panik.

Als seine Stimme immer leiser, ja fast unhörbar wurde, hat ihm sein engstes Umfeld das eine oder andere Volkslied vorgesungen. Man mag es als allzu anspruchslos für Hugo Portischs Geist und Lebenswerk empfinden – und doch hat der Text „Kein schöner Land in unsrer Zeit, als hier das unsre weit und breit …“ recht genau jenen Tiefenschichten seiner Dankbarkeit dafür entsprochen, die Welt als Österreicher erlebt zu haben.

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