Bubble - © Illustration: Rainer Messerklinger

In den (Gender-)Sternchen

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Ein kritischer Beitrag zu Binnen-I und Gendersternchen löst akademischen Shitstorm aus. Gastkommentar über ein Lehrbeispiel, wie Presse-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit unter Druck geraten.

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Ein kritischer Beitrag zu Binnen-I und Gendersternchen löst akademischen Shitstorm aus. Gastkommentar über ein Lehrbeispiel, wie Presse-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit unter Druck geraten.

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Gendersterne erhitzen derzeit nicht nur die Gemüter von Leserinnen und Lesern – ebenso wie jene der „Redigierenden“, wie Redakteure und Redakteurinnen wohl auf Neudeutsch zu bezeichnen wären. Ausgerechnet die Fachzeitschrift Publizistik und die eng mit ihr liierte Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, also die Fachgesellschaft, in der sich Medienforscher organisieren, ist jetzt in eine handfeste Auseinandersetzung um die Gendersternchen und das Binnen-I geraten. Der Stil, in dem der Konflikt ausgetragen wird, tangiert zugleich sehr viel höhere Güter, wie etwa die Presse-, die Meinungs- und die Wissenschaftsfreiheit.

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Den Anstoß lieferte der Kommunikations- und Medienhistoriker Rudolf Stöber (Universität Bamberg). Sein Forumsbeitrag über „Genderstern und Binnen-I“, die er für Indizien „falscher Symbolpolitik in Zeiten zunehmenden Illiberalismus“ hält, hat einen Proteststurm ausgelöst. Stöbers These: Der neue Sprachgebrauch sei „latent manipulativ, unausgewogen, latent ideologisch, polarisierend und zudem an falscher Stelle sprachsensibel“; er würde mögliche Nebenwirkungen nicht angemessen berücksichtigen. „Aus gut gemeinten Gründen“ werde „etwas schlecht Gemachtes“, das er in dem Moment, wo es durch universitäre oder behördliche Vorschriften erzwungen werden soll, in die Nähe von Orwells „Neusprech“ aus dem dystopischen Roman „1984“ rückt.

Stöbers Diskussionsbeitrag ist gewiss einseitig und zugespitzt – aber gründlich recherchiert und voller wissenswerter Details. Fachlich ist er fraglos fundierter als das meiste, was auch in hochwertigen Zeitungen zum Thema bisher zu lesen war. Die fünf Herausgeber, darunter auch drei Herausgeberinnen, hatten den Essay einstimmig abgesegnet, Stöbers Philippika ist so mit dem Gütesiegel kollegialer Prüfung versehen, auch wenn er keinen strengen double blind peer review überstehen musste, dem nur die Hauptartikel der Zeitschrift unterzogen werden.

Eine grobe Verfälschung

Statt darauf, wie von der Redaktion vorgesehen, mit einer klugen Replik zu reagieren, haben dann über 350 Unterzeichner – das sind ein knappes Drittel aller Mitglieder*Innen der Fachgesellschaft – in einem „offenen Brief“ der Redaktion „Versagen“ vorgeworfen. Stöbers Vorgehensweise sei „unwissenschaftlich, polemisierend und diffamierend“. Als Beleg werden Zitate aus dem Kontext gerissen. Kostprobe: Der Beitrag „diskreditiert geschlechtergerechte Sprachformen als ,Marotte zur Spaltung der Gesellschaft‘ (S. 8) und erklärt, sie seien ein ,Zeichen von Halbbildung‘ (S. 3), oder ,magisches Denken, das auf einem Irrtum beruht‘ (S. 5) und aus Unkenntnis entstanden (S. 7). Er stellt Diskussion und Befürwortung der Verwendung von Gender-Star und Binnen-I in Kontexte von ,Gedankenpolizei‘ (S. 3) […].“ Stöber, so heißt es weiter, suche „nicht die Debatte, sondern verlässt die Ebene einer sachlichen Argumentation“ – ein Vorwurf, der sich bei genauerer Betrachtung vor allem gegen die Briefautoren selbst richtet. Denn ihre Zitat-Collage verdichtet den Originaltext eben in einer Weise, welche Stöbers differenzierte Aussagen grob verfälscht.

Die Autoren des offenen Briefes haben vermutlich das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollten: Maximale Publizität für Stöbers Polemik.

Der Brief ist an den Vorstand der Fachgesellschaft gerichtet – offenbar in der Erwartung, dass dieser in die Autonomie der Redaktion eingreifen möge. Das hat nicht nur den Vorstand, die Redaktion und Stöber überrascht, sondern seinem Beitrag, der seit Dezember öffentlich zugänglich ist, inzwischen viel unerwartete Aufmerksamkeit beschert. Stöber befürchtet indes auch einen einschüchternden Effekt der Aktion: Mails, die ihn erreichten, „bestätigen den Genderstern-Druck“. Eine junge Kollegin habe ihm geschrieben, sie traue sich in der jetzigen Phase ihrer Karriere nicht, offen Stellung zu beziehen. Weitere, auch gestandene Kollegen schrieben Forschungsanträge nur noch mit Genderstern, um sie im Begutachtungsprozess nicht zu gefährden. Andere fürchteten, nicht mehr publizieren zu können, wenn sie nicht den Stern verwenden.

Der Zufall wollte es, dass sich zeitgleich in Deutschland das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ konstituierte, in dem sich über 70 Forscher zusammengeschlossen haben, um die Freiheit von Forschung und Lehre zu verteidigen – zunächst ohne einen einzigen Kommunikationswissenschafter. Den „offenen Brief“ nahmen dann allerdings einige Medienforscher zum Anlass, der Gruppierung beizutreten. Zehn Emeriti protestierten außerdem als „alte, weiße Männer“ mit einer Mail, die sie im Schneeballsystem verbreiteten, gegen den offenen Brief und stellten sich vor die Redaktion der Fachzeitschrift.

Zwei dieser Gruppe haben in Österreich gelehrt: Georg Franck war an der Technischen Universität Wien tätig und ist mit seinen Schriften zur Aufmerksamkeitsökonomie bekannt geworden. Wolfgang R. Langenbucher war über viele Jahre hinweg Vorstand des Instituts für Publizistik der Universität Wien und erregte insbesondere mit seiner Schrift „Der miss achtete Leser“ Aufsehen, die er zusammen mit Peter Glotz vorlegte. Fünf weitere Professoren dieser Gruppe forschten vormals zeitweise an der FU Berlin, einer davon – so viel Transparenz muss sein – ist der Autor dieses Beitrags, der damit in die Rolle des teilnehmenden Beobachters oder wahlweise ausnahmsweise auch eines „Haltungs“-Journalisten schlüpft.

Diskursfalle Moralkeule

Die zehn Professoren sehen in dem „offenen Brief“ den Versuch, die Redaktions- , Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit des Faches „auf den Denkkorridor zu verengen, der den Ansichten der Briefverfasser entspricht“. Es gehe jetzt darum, „dass sich die Kommunikations- und Medienwissenschaften inhaltlich mit der Presse-, Meinungs- und Redefreiheit intensiv befassen“. Obwohl von vielen „geschätzten Kolleginnen und Kollegen unterzeichnet“, offenbare der offene Brief, „dass es derzeit eine Strömung gibt, die sich schwertut, diese Grundsätze auf sich selbst anzuwenden“.

Die Autoren des offenen Briefes haben vermutlich genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollten: Maximale Publizität für Stöbers Polemik – und auch die attackierte Redaktion der Publizistik dürfte eher gestärkt worden sein. Es ist nicht zuletzt eine Fallstudie, wie Konflikte eskalieren und die Betroffenen in zwei Lager spalten, wenn ungeschickt kommuniziert wird und wenn mit Druckmittel und Moralkeule der wissenschaftlichen Diskurs gefährdet wird, statt mit Argumenten den Streit auszufechten. Der tragikomische Aspekt der Geschichte ist, dass das ausgerechnet Kommunikationswissenschaftern passiert, die anderen kluges Kommunizieren beibringen sollen.

Der Autor ist em. Prof. für Journalistik und Medienmanagement an der Uni Lugano/CH sowie Leiter des Europäischen Journalismus-Observatoriums.

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