Medienkritik mit dem Vorschlaghammer

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Das TAG zeigt in Kooperation mit dem Theater im Bahnhof Graz "Der Untergang des österreichischen Imperiums oder Die gereizte Republik" und will das als Beitrag zu einer kritischen Debatte über den Journalismus im digitalen Zeitalter verstanden wissen.

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Das TAG zeigt in Kooperation mit dem Theater im Bahnhof Graz "Der Untergang des österreichischen Imperiums oder Die gereizte Republik" und will das als Beitrag zu einer kritischen Debatte über den Journalismus im digitalen Zeitalter verstanden wissen.

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Wer glaubt, die neue Produktion des Theaters an der Gumpendorferstraße sei als Beitrag zu den Erinnerungsfeierlichkeiten im Rahmen des Endes des Ersten Weltkrieges, der Abdankung des letzten österreichischen Kaisers Karl I. am 11. November 1918 und dem damit besiegelten Untergang der Habsburger-Dynastie zu verstehen, muss sich getäuscht sehen. Fast genau auf den Tag hundert Jahre später meint "Der Untergang des österreichischen Imperiums", das Ed. Hauswirth mit dem Ensemble gemeinsam geschrieben und selbst inszeniert hat, etwas ganz anderes.

Das Imperium, dessen Untergang hier diagnostiziert wird, ist jener "linkskatholische Kompromiss", den die Republik -in den Worten von Gernot Plass, dem künstlerischen Leiter des TAG -seit ihrer Gründung darstellt. An deren Stelle, so der Gegenwartsbefund, tritt nunmehr eine "gereizte Republik", für die Hauswirth mal schon die Vertreter*innen der vierten Macht im Staat, die Journalist*innen, als (Mit)verantwortliche ausgemacht hat.

Wenn das Publikum in den Saal gelassen wird, ist eine lärmende Horde dabei, ein Spiel zu spielen. Abwechselnd tanzen jeweils vier kreischende und johlende Frauen und Männer mit einem Hammer in der Hand um einen Wurzelstock, um den darauf befindlichen Nagel auf den Kopf zu treffen, andernfalls legen sie ein Kleidungsstück ab. Nach nur kurzer Zeit sind sie alle (halb) nackt und einer bemerkt: "So könnte unser Ende ausschauen."

Die auf zwei über der Spielfläche hängende Screens projizierten Twitteraccounts weisen sie als Journalistin, Publizist, kritischer Linker, geschäftsführender Chefredakteur etc. aus. Wie jedes Jahr trifft sich die meinungsmachende Elite in der mondänen Villa an den Hängen des Semmering, um hoch oben, von allen Anfechtungen des Alltags befreit, die Karriere, das Leben und die eigene Bedeutung zu feiern. Aber das Leben und das Selbstbewusstsein sind nicht mehr, was sie waren. Denn die Berichterstattung ex cathedra ist in die Krise gekommen und mit ihr der Berufsstand und die private Existenz. Denn im 21. Jahrhundert, so die Diagnose im Stück, beuten sie dich nicht mal mehr aus, sie brauchen dich nicht mehr.

Zu Besuch in der Bobo-Scheinwelt

In der Manier einer Nummernrevue erzählt der zwei pausenlose Stunden dauernde Theaterabend vom Zustand der Republik und dem persönlichen und beruflichen Niedergang seiner intellektuellen Eliten. Er erzählt davon, wie es einmal war und wie es heute ist. Die Tradition will es, dass alle ihre Handys abliefern, die Realität ist, dass kurz darauf alle danach kreischen. Aber immerhin lebt ein Teil der Tradition noch: Die Frauen joggen, während sich die Männer einen Gin Tonic gönnen, die Frauen schwitzen in der Sauna, während die Männer kochen. Genüsslich wird die Bobo-Scheinwelt der selbsternannten "Priester eines geistig imperialen, also herrschaftsbeanspruchenden Konsenses" vom Ensemble vorgeführt, in der viel Attitüde ist, kaum einer aber eine Curry-Petersilien-Sauce von Curcuma-Koriander unterscheiden kann. Solche Episoden dienen dazu, die Erbärmlichkeit der Kindeskinder der kritischen Theorie vorzuführen, wobei im Eiltempo auch wichtigere Diskursfelder gestreift werden: Feminismus, die Macht der weißen Männer und die Verteidigung der Privilegien, das Verhältnis von Volk und Eliten, Qualität oder Quote oder wie sich in einer Ressentimentkultur Wahrheit gegen den Meinungsjournalismus verteidigen lasse usw.

Die Produktion bietet einige schöne Momente, wie etwa das Abendessen, bei dem geredet wird wie auf Twitter und ein düsteres dystopisches Panorama des Landes entworfen wird. Die Schwäche des Abends besteht aber darin, dass die Situation des Journalismus im digitalen Zeitalter mit allen negativen Begleiterscheinungen -Glaubwürdigkeitverlust, das große Geschäft mit der Desinformation, Fokussierung auf Reizthemen, ideologische Radikalisierung, Medienverdrossenheit etc. - kaum zur Sprache gebracht wird und der Untergang des Imperiums alleine seinen Standesvertreter*innen angelastet wird -mit ihrer Selbstgefälligkeit, den korrumpierenden ökonomischen Partikularinteressen, dem Traum von der Krankenversicherung und fünfzehn Monatsgehältern. Damit aber agieren Hauswirth & Co selbst ziemlich herablassend oder anders gesagt, sie argumentieren mit dem Hammer.

Der Untergang des österreichischen Imperiums oder Die gereizte Republik Theater an der Gumpendorfer Straße 23., 24., 27., 28. Nov.

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